melamar

DER WURM IM ELFENBEINTURM

ein kleiner wurm
der lebt in einem elfenbeinturm
er ist nicht sehr belesen
doch ist es teil seines wesens
dass er nur gedanken denken kann
die sich in reime fassen lassen

manche sagen: tourette-syndrom,
kenn ma schon
doch glücklicherweise leidet
der kleine wurm in seinem elfenbeinturm
in keiner weise
göttinseidank
fühlt er sich nicht krank
im gegenteil
gerade weil
die welt
ihm so viele reime bereitstellt
wie es ihm gefällt
gefällt ihm das leben eben

der kleine wurm sagt
wenn man die leute fragt
heißt es ich wäre verrückt
nur weil mich gereimte sprache beglückt?
sie glauben ich wüsste nichts über sie
sie glauben ich wäre blind
dabei kenne ich jeden einzelnen
wie mein eigenes kind
ich spüre dinge die sie nicht kennen
ich höre alle sachen die sie machen
ob sie lachen oder flennen
an sodbrennen leiden oder beim pferderennen
lauschen wie manche den falschen gaul aufbauschen ...

ich bin nicht dumm
nur weil mir sprache ohne reim
so seltsam stumm
erscheint

der kleine wurm im elfenbeinturm
erzählt gern geschichten
von seltsamen wichten
die man mitnichten
je mehr vergisst

da drüben lebt rosamunde
die studiert altertumskunde
neulich kam sie aus der karatestunde
mit ner platzwunde

am platz davor sigismund
der leidet an gedächtnisschwund
lebt ein leben als vagabund
er liebt die blinde gerlinde,
die trägt ne armbinde,
er setzte sich einst zu ihr unter eine linde,
da schenkte sie ihm eine brotrinde,
das vergisst er nie!

zu ihnen gesellt sich häufig raimund
der hat nen hirtenhund
bei jedem schäferstündchen
mit von der partie das hündchen

der anrainende geschäftsmann klaus
hat ein veganes reformhaus
im traum
macht er dem schlachthaus
den garaus
er isst linsen
ohne speck
er zahlt zinsen
die sind fett
und rollt einmal ein wenig rubel
bleibt keine zeit für großen jubel
bei zahlungsterminversäumung
droht die zwangsräumung

sein bester freund, der dichte dichter dieter, fischt frisches haschisch aus der wollmaus, die er vor dem haus fand, heraus.
er legt es auf den tisch, vermischt es fachmännisch, schelmisch, rebellisch.
er grinst wie mickey maus im liebesrausch, will die zicken erquicken,
die nebenbuhler aus dem spiel kicken, sie zurück an den start schicken. sollen sie warten in nachbars garten
dort läuft das pflegekind pfeilgeschwind ihr name ist christina
sie stammt aus der bukowina ihre schwester regina
ging nach indochina der abendwind fährt dem ziehkind ganz lind
durchs haar, es ist wahr
sie spielt okarina, mit ihrer freundin martina, live am solikonzert für palästina

im souterrainlokal arbeitet signorina gina
die macht geld mit ihrer xxx
ihr liebster franz ist traurig, der anblick ist ganz schaurig, sein oldtimer ist im eimer bei tagesanbruch brandgeruch
indes ihre tochter rosina, eine hübsche kleine bambina, träumt von einem leben als ballerina.
so wie die enkelin der haushälterin, die ist jetzt elevin und zieht woandershin
im nebenzimmer der klavierstimmer treibt es immer schlimmer
franz schaltet den fernseher ein
prinz andrew gibt ein exklusivinterview
man spürt den jubel der redaktionscrew
valentino zeigt mode fürs heimkino
der erzbischof segnet einen schlachthof
und unsre altersrente sei bloß ne zeitungsente
franz schaltet den fernseher wieder aus
er denkt an seinen bruder bob, der hat nen fulltime-job
er ist kein snob, wie der andre bruder, jakob, der vor lauter eigenlob abhob,
bob ist mehr wie hiob
der firmen-mob behandelt ihn saugrob
darob er sich in verzweiflung wob
die fieberkurve stieg, die leistungskurve sank immer öfter er heimlich trank
da geschah etwas und er versank
seine frau gertrud aß schlechtes joghurt in frankfurt und erlitt eine fehlgeburt.

der kleine wurm im elfenbeinturm sieht alles,
er hat augen die taugen sogar zur optischen verdünnung der erdkrümmung
er sieht ganz klar bis nach uganda

dort steht amanda auf der veranda ihres hotels und wartet auf wanda.
sie ist braun gebrannt, fühlt sich verkannt, letztgenannt, aber nicht hirnverbrannt.
sie fühlt ein sehen, doch nicht danach sich anzulehnen, sie träumt vielmehr von überzarten abarten.
da steht plötzlich ein urbaner marokkaner vor ihr, er zeigt sich human, er hilft spontan, er schenkt ihr reinen reim ein.
er ist hochbegabt, sie hat glück gehabt,
dieser zweiklang wird zum einklang und zum abgesang an die zeit der einsamkeit.

spät aber doch kommt wanda. sie sagt
"hallo amanda, seit wann bist denn du da?"

ich frage den wurm: bist du nicht einsam, in deinem turm?
du hörst zwar alles, siehst zwar alles, aber wie viele leute hören dir zu? sagen sie nicht, du wärest manieristisch, richtiggehend anachronistisch reim- fetischistisch? wie gehst du mit dieser kritik um? scherst du dich drum?
der wurm sagt: gar nicht, das ist dumm!
für diese unwissenden sind meine reime
bloß gemeine kleine schweine
dabei kann die welt ohne reim nicht sein!

ich bin nur ein kleiner wurm
in einem elfenbeinturm
ich bin nicht sehr belesen
doch ist es teil meines wesens
dass ich gedanken denken kann
die sich in reime fassen lassen

manche sagen: tourette-syndrom
aber was heißt das schon?
göttinseidank fühl ich mich nicht krank
im gegenteil, gerade weil, die welt mir soviele reime bereitstellt,
wie es mir gefällt, gefällt mir das leben eben

dann sagt er zu mir, du, ich brauch jetzt ein wenig ruh, aber komm mich mal wieder besuchen du, jederzeit nur zu! am besten morgen, da back ich nen kuchen, nen honigkuchen.

ich sage, danke, gern komm ich dich wieder besuchen, ich freu mich schon, mehr von dir zu hörn
und wanke, besoffen vor lauter reim, heim