G&GN-INSTITUT - Düsseldorf, den 21. Juni 2018 / Der Nobelpreis wird zwar nur "verschoben" (wie viel Einfluss hat die königliche Änderung der noblen Statuten auf die Jury?), dafür wird der NAHBELLPREIS dieses Jahr erstmalig VERDOPPELT: es gibt erstmals 2 Gewinner, besser gesagt: GewinnerINNEN! Und beide Damen sind aus Österreich! Der "alternative Lyriknobelpreis für lebenslängliche Zeitgeistresistenz und Unbestechlichkeit im lyrischen Gesamtwerkprozess" geht 2018 an zwei Vertreterinnen eines Neuen Feminismus, die unterschiedlicher und doch auch ähnlicher nicht sein könnten: Sophie Reyer (*1984) & Tanja Lulu Play Nerd (*1982). Beide verbindet die Liebe zum Klang der Sprache: Sophie experimentiert und wird theatralisch aufgeführt, Tanja improvisierte jahrelang auf Slambühnen. Von Sophie erscheint dieses Jahr schon der dreizehnte Gedichtband, während Tanja erst kürzlich ihren Debutband mit dreizehn Gedichten herausgab. Die vollständigen Exklusiv-Interviews vom Mai 2018 mit beiden Autorinnen anlässlich der Preisverleihung finden sich (1 Jahr lang bis zum 21.6.2019, danach auf www.lyrikszene.de verlinkt) auf der brandneu gelaunchten Website hier: www.POESIEPREIS.de Darin beziehen Reyer & Play Nerd Stellung zu ihren Werken und ihrem Werdegang, hier ein Auszug:
3.NAHBELLFRAGE (Tom de Toys): "Welche klassischen und/oder zeitgenössischen Dichter(innen) haben Dich beeinflusst oder begeistern Dich heute noch? Magst Du die Dadas wie z.B. Hans Arp? Kennst Du sein Gedicht SOPHIE? Bei den Zeilen >>Ich spreche kleine, alltägliche Sätze leise für mich hin. (...) Die Sterne sind Blumen, die im Himmel blühen.<< musste ich grad an Deine Kostprobe denken, weil es fast schon wie ein poetologisches Programm wirkt, von kleinen, alltäglichen Sätzen zu sprechen. Das trifft auf Deine Lyrik doch auch zu?
3.NAHBELLANTWORT (Sophie Reyer): "Freilich sehe ich eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Literatur als Um und Auf für mein gegenwärtiges Schreiben. Insofern habe ich mich immer intensiv mit historischen Strömungen aller Art auseinander gesetzt, die von der Literatur babylonischer Epen über die griechische Antike und Texte des Mittelalters -insbesondere Christine de Pizan war eine besondere Entdeckung für mich- bis hin in die Gegenwart hinein reichen. Alle Neuerungen und Umbrüche finde ich grundsätzlich spannend. Dazu gehören für mich natürlich auch sämtliche Strömungen des Dadaismus, Surrealismus und Expressionismus, wobei ich diese auch immer wieder in meinen Poetik- Vorlesungen auf der Schreibpädagogik Wien präsentiert habe. Einer meiner besonderen Lieblingskomponisten dieser Zeit ist der wunderbare John Cage. Doch auch Hans Arps Werk hat mich immer wieder inspiriert."
6.NAHBELLFRAGE (Tom de Toys): "Dem Inneren zuzuhören, klingt ja schon beinahe wie eine Meditationspraxis, was mich wiederum an John Cage erinnert, dessen vielleicht berühmtestes Konzert aus stundenlanger Stille bestand, in der man nur die Geräusche von draußen hörte. Seit wann lauscht Du Deinem Inneren? Gab es ein einschneidendes Erlebnis, einen Aha-Effekt? Oder wie wurdest Du zur Dichterin? Wie und wann begann das alles bei Dir?"
6.NAHBELLANTWORT (Sophie Reyer): "Ich denke, dass man als Künstler dem Inneren lauschen muss - sonst schafft man nur Arbeiten, die formal angelegt sind, jedoch keinen Inhalt oder Gehalt aufweisen. Ich habe schon als Kind zugehört: dem Rauschen der Birken hinterm Haus, der Bewegung des Schilfs, dem Quaken der Frösche und dem Rauschen der Autobahnen, den Gutenachtgeschichten meines Vaters und so fort - und das Innere schwingt da von jeher mit, es ist in allen Dingen, man muss nur lauschen und sich Zeit nehmen. Ich glaube, ich wurde nie zur Dichterin. Entweder bin ich es schon immer - oder ich werde es ohnehin nie, da bin ich mir nie so sicher. Geschrieben habe ich schon als Kind, Tonnen von Tagebüchern liegen noch bei uns im Keller, die ersten Bücher -damals im von mir geschaffenen S-Verlag- schrieb ich mit 9, über eine Vampir-Elfe genannt Brunhilde..."
Sophie Reyer
: Skyborg. 1
Also: Ein Drei D- Drucker ist nicht alles.
Da fehlst was. Und wissen sie auch, was?
Ein Kind.
Ein Kind das ein Stern war und wieder zu den Sternen möchte.
Demnach ein Vogelkind. Ein Kind mit Flügelchen.
Ein optimiertes Kind, wissen sie.
Ein Kind wie aus Wachs.
Ein Kampfkind.
Ganz ohne Emotionen, sie verstehen.
Das man formen und kneten kann.
Präparieren.
Arrangieren.
Montieren.
Et cetera.
(Anm.: Bei Skyborg handelt es sich um einen spezialisierten Cyborg, dessen Aufgabe es ist, Kampfdrohnen zu ersetzen)
Tanja Lulu Play Nerd
titelgeschichte
ist es nicht wirklich fantastisch wie
reibungslos unsere welt funktioniert
alles hängt irgendwie mit allem
zusammen und dreht sich im uhr-
zeigersinn (das ist der letzte und
einzige sinn) um sich selbst von der
subatomaren bis hin zur hyper-
galaxtischen dimension ohne jemals
dem schwindel anheim zu fallen denn
du bist ein rädchen im unendlichen
perpetuum mobile aus dem nichts
in das nichts aus dem anfänglichen
in das endgültige von dem einen
vergessen ins andere deine taten
sind heilige antworten auf fang-
fragen der ebenso unwissenden ur-
großeltern das wunder hat keinerlei
ursache wir tun einfach alle nur das
was wir noch nie lassen konnten
(Anm.: Erstveröffentlichung für Lyrikzeitung & Fixpoetry)
2.NAHBELLFRAGE (Tom de Toys): "Mir scheint, daß seit einigen Jahren vorallem der richtige Mix aus obszöner Comedy und zynischer Politik genau das ist, was die Leute an Poetryslams wertschätzen. Ich meine, diesen Mix auch aus Deinen Gedichten herauszulesen. Und gerade weil Du diesem lebensphilosophischen Zynismus noch Deine ehrliche, emotionale Sehnsucht nach einer besseren Welt überstülpst, wird doch daraus echte Lyrik, oder nicht? Eine Einflussnahme aufs gesellschaftliche Geschehen ist damit allerdings wohl ebenso unwahrscheinlich wie live on stage beim Poetryslam?"
2.NAHBELLANTWORT (Tanja Lulu Play Nerd): "im grunde ist doch die poesie heutzutage genauso ein megapestizidvergifteter supermarkt wie die politik: alles ist völlig tabulos erlaubt, aber nichts hat eine auswirkung auf wirklich schreckliche weltprobleme! mag sein, daß auch ich zu obszöner comedy neige, das kam eben immer am besten an, aber mir liegt wesentlich mehr an dem, was du ehrlich emotional nennst: eine gewisse literarische renaissance der engagierten emotionalität, ohne sentimental oder fanatisch zu werden, sondern auf einem seismografischen seelischen level berührt, wie du es in deiner netten rezension auf amazon über meinen gedichtband LEB JETZT schon geschrieben hast."
3.NAHBELLFRAGE (Tom de Toys): "Ist das eine neue Art von Spiritualität, die uns seit Eckhart Tolle zur Beruhigung der Nerven verklickert wird, um in erleuchteter innerer Balance für nichts mehr Partei zu ergreifen, sondern nur noch hypnotisch gechillt zu bleiben? Du gehörst mit Deinem sozialkritischen Impuls ja nun wirklich nicht zur neuen Generation Overchill! Da verbindet sich in Deinen Texten doch irgendwie beides miteinander: das stille Angekommensein mit der lautstarken Aufgeregtheit? Ist DAS vielleicht das wirklich Neue an Deinem engagierten Stil? Und könnte genau das nicht auch bei Slams gute Wirkung erzielen: der leise Gong mit dem lauten Gaga vereint in der Performance?"
3.NAHBELLANTWORT (Tanja Lulu Play Nerd): "also ich denke auf jeden fall, daß sich die allerjüngste generation overchill durch die handy-ära entwickelt hat: alles wird über den minimonitor kommuniziert und konsumiert, und das perverse daran: selbst die spiritualität wird über apps konsumiert! yogaapp, meditationsapp, spiritualbookapp: alles kommt dir digital ins haus, niemand braucht dafür in echt mehr raus! auch politik lässt sich per mausklick erledigen: petitionen werden per touchscreen signiert. touchscreen against torture! (...) ich brauche den abstand zur zivilisation, um sie dadurch umso gestochener vor dem inneren auge zu analysieren und anzugreifen. ob sich da gaga und gong so vereinen, daß es auch slamtauglich wäre, müsste ich erstmal testen."
Der Literaturnobelpreis wird in diesem Jahr ausgesetzt. Es bleibt die vage Hoffnung auf die Einsicht der Mitglieder der Jury, eines Tages ihre attraktiven
Positionen selbst dranzugeben, um das verlorene Vertrauen in das Gremium wiederherzustellen. Zuletzt driftete die Begründung für den Preis immer häufiger in diffuse Mehrdeutigkeit. Bereits als
der Nobelpreis für Bob Dylan verkündet wurde, teilten sich die Geister in Enthusiasten und Enttäuschte: ein gefundenes Fressen für alle diejenigen, die online ihre literarischen Meinungen
kundtun, verteidigen und weiterentwickeln. Der Ruf des Nobelpreises, heißt es in der Pressemittelung, habe durch die "Publizität" der jüngsten Vorgänge großen Schaden genommen: Die Namen
künftiger Nobelpreisträger waren vorab verraten worden, es hatte Fälle von privater Vorteilsnahme gegeben, und es war im Umkreis der Akademie in erheblichem Maß zu sexuellen Übergriffen gekommen.
Unterdessen hat eine Gruppe schwedischer Kulturschaffender um die Journalistin Ann Pålsson, die Literaturprofessorin Lisbeth Larsson und die Journalistin und Bibliothekarin Marianne Steinsaphir
angekündigt, einen alternativen Literaturnobelpreis zu vergeben. Der Literaturpreis der Neuen Akademie (Nya Akademien) soll im Oktober verliehen werden. Diese Neue Akademie ist gegründet worden,
um sicherzustellen, dass 2018 ein internationaler Literaturpreis verliehen wird, heißt es in einem Statement der Gruppierung, es solle daran erinnert werden, dass Literatur mit "Demokratie,
Offenheit, Empathie und Respekt" verbunden werden soll. Zu einer Zeit, in der Werte der Menschheit immer mehr infrage gestellt werden, wird Literatur zur Kraft gegen "Unterdrückung und einen Code
des Schweigens". Am 12. Oktober wurde die Preisträgerin verkündet, es geht an die Schriftstellerin Maryse Conde. Die Autorin wurde 1937 in Pointe-à-Pitre in Guadelope geboren, sie hat etwa 30
Romane veröffentlicht. Die Auszeichnung ist mit einem Preisgeld von einer Million schwedischer Kronen (97.000 Euro) dotiert. Wie die schwedische Akademie unlängst in einer lakonischen
Pressemitteilung verkündet, will man in Absprache mit der Nobel-Stiftung ein neues Komitee zu bilden. Neben den Mitgliedern der Akademie sollen auch fünf externe Sachverständige über die nächsten
beiden Literaturnobelpreisträger mitentscheiden. Die fünf Akademiemitglieder im Komitee sind Horace Engdahl, Kristina Lugn, Anders Olsson, Jesper Svenbro, sowie Per Wästberg, der dem Komitee
vorsitzen wird. No Nobel, dafür wird der Nahbellpreis gleich zweimal verliehen. 2018 erhalten ihn zwei Lyrikerinnen, die aus Österreich und der Schweiz stammen. Es handelt sich dabei um Sophie
Reyer. Wie sich zeigt, kommt Reyer derzeit für jeden Preis in Frage, und falls sie weiterhin so fleißig ist, kommt sie eines Tages vielleicht sogar für den Literaturnobelpreis in Frage. Die
zweite Autorin dürfte noch nicht den Bekanntheitsgrad der ersteren haben, wenngleich sie – ähnlich wie Rupi Kaur mit ihren Instagram-Lyrix – zulegt. Kaur liefert jedoch ein opulentes Bouquet von
Belanglosigkeiten. Die ehemalige Slam-Performerin Tanja "Lulu" Play Nerd dagegen versucht sich als eine stets aufmerksame, faszinierende, persönlich engagierte und zugleich kritische Beobachterin
und Chronistin. Es ist jene Sehnsucht nach Gewissheit, die sich durch eine sprachliche Hingabe ausdrückt, die weder seicht noch geistlos wirken soll, sondern im Gegenteil – KUNO ist der Ansicht:
gedankliche Tiefe ist in der literarischen Gattung Lyrik zu finden. In ihren Texten versucht die Autorin der – von dem unermüdlichen Sloganizer Samuel Lépo so benannte – Generation Overchill
immer wieder gesellschaftliche Mißstände aufzuzeigen.
Kuno Kloetzer*, in: Alternativer Literaturnobelpreis an Maryse Condé (KUNO – EDITION DAS LABOR, 9.12.2018)
*Pseudonym von Matthias Hagedorn, der seit Weigonis Tod nicht mehr namentlich auftaucht,
sondern im KUNO-Impressum: "Nachlassverwaltung von Peter Meilchen und A.J. Weigoni: Johannes Schmidt",
wobei letzterer wiederum der bürgerliche Name von Weigoni selber ist, weshalb die Vermutung besteht, dass dieser noch lebt...
2019: Das G&GN-Institut nimmt Abschied vom 9.Nahbellpreisträger ~ NACHRUF auf Peter Rech 21.5.1943 - 5.12.2019
2020: Das G&GN-Institut bedauert das Ende des Portals FIXPOETRY ~ NACHRUF auf das Engagement von Julietta Fix
2022: Erstmals wird der Nahbell-NEBENPREIS "für den unerwarteten Essay" vergeben - Hintergrund zur EINFÜHRUNG siehe 2021
2023: Das G&GN-Institut kuratiert die Düsseldorfer Lesung "POESIEPANDEMIE: LYRIK LEBT WEITER!" -
LIVE & CLOSE am 12.
Mai
"Ich bin der reichste Mann der Welt! // Meine silbernen Yachten / schwimmen auf allen Meeren. // Goldne Villen glitzern durch meine Wälder in Japan, / in himmelhohen Alpenseeen spiegeln sich meine Schlösser, / auf tausend Inseln hängen meine purpurnen Gärten. // Ich beachte sie kaum. // An ihren aus Bronze gewundenen Schlangengittern / geh ich vorbei, / über meine Diamantgruben / lass ich die Lämmer grasen. // Die Sonne scheint, / ein Vogel singt, / ich bücke mich / und pflücke eine kleine Wiesenblume. // Und plötzlich weiss ich: ich bin der ärmste Bettler! // Ein Nichts ist meine ganze Herrlichkeit / vor diesem Thautropfen, / der in der Sonne funkelt." Arno Holz (1863-1929)
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