ZURÜCK ZUM PRESSE-ARTIKEL ÜBER ALLE 3 JUBILÄUMSPREISTRÄGER 2019


01. NAHBELLFÖRDERPREIS 2019: KARIN POSTH

(c) FOTOGRAFIN: Anita Affentranger
(c) FOTOGRAFIN: Anita Affentranger

Karin Posth, geboren am 11. Februar 1945 in Marienbad, war bis zur Rente als freiberufliche Übersetzerin und Dozentin an der VHS des oberbergischen Kreises und zuletzt als Leiterin des Beschwerdereferats bei der AachenMünchener in Köln tätig. Sie ist zwei Mal geschieden und hat eine Tochter. Die Hochschulausbildung zum Übersetzer grad. schloss sie im Februar 1976 ab. Danach übersetzte sie freiberuflich für den Ravensburger Verlag Bücher der Serie "Bibliothek des Freizeitmalers". Eine solche Heimtätigkeit bot sich an, weil die sechsjährige Tochter zur Schule kam. Von 1984 bis 1985 nahm sie an einem Fernstudium an der Universität Tübingen: Funkkolleg Kunst teil. Danach arbeitete sie bis 1989 als freischaffende Malerin und gab Kurse an der VHS des oberbergischen Kreises, darunter auch Aquarellmalerei und kunstgeschichtliche Themen. Ab 1990 war sie aus finanziellen Gründen gezwungen, ganztägig zu arbeiten. Als Übersetzerin bekam sie keine Anstellung, weil sie über keine ausreichende Büropraxis verfügte. Man bot ihr eine Tätigkeit in der Versicherung an, weil sie vor dem Übersetzer-Studium eine Ausbildung zur Versicherungskauffrau gemacht hatte. 1994 machte sie ihren Abschluss zur Versicherungsfachwirtin. 2009 ging sie in Rente. Nach der Rente nahm sie von 2010 bis 2011 an einem Fernstudiengang "Das lyrische Schreiben" teil und schreibt seitdem Gedichte. Drei Gedichtbände sind beim Verlag Edition Art Science, St. Wolfgang, erschienen: 2013 "DER HIMMEL IST KEIN GESCHENK", 2017 "DER CODE DER NÄCHTLICHEN TRÄUME", 2018 "AN DIESEM ORT, WO ALLES RAUSCHT UND SCHÄUMT". Preisträgerin u.a. bei/beim Literaturpodium, postpoetry.NRW, Lyrischen Lorbeer, Ü70 ch Schreibwettbewerb. 2015 hat sie mit drei anderen Autorinnen die Gruppe Schellack gegründet. Seit 2016 ist sie Mitglied der Gesellschaft für Literatur NRW.

 

ALS NEUZUGANG IM OFFLYRIKFESTIVAL-FORUM/POESIESALON.de: "Aus dem Zyklus: quer durchs land"

 


das nahbell-FÖRDERinterview 2019

 

01. NAHBELLFÖRDERFRAGE

Liebe Karin, Du hast mich ja dazu inspiriert, einen zusätzlichen Förderpreis neu einzuführen (sowas wie ein zweiter Platz quasi, also Silbermedaille), weil es in diesem zwanzigsten jubiläumsjahr ungewöhnlich viele Bewerber gibt und die Entscheidung zu schwer fiel. Da der Hauptpreis auf zehn Millionen Euro angesetzt ist, dotiere ich den neuen Förderpreis nun auf 1 Millionen Euro und gratuliere Dir hiermit herzlich dazu. Hoffentlich findet sich noch zu unserer Lebzeit ein Sponsor, der diese Summen aus purem Idealismus und Liebe zur Lyrik bereitstellt! Zu meiner ersten Frage an Dich: Du bist Rentnerin und in Sachen Poesie Spätzünderin, richtig? Was hast Du denn beruflich gemacht und wieso bist Du zur Dichterin geworden? Gab es früher in deinem Leben schon irgendwelche Berührungspunkte mit Poesie?

 

01. NAHBELLFÖRDERANTWORT

Die Liebe zum Wort bestand schon immer. Zuerst als graduierte Übersetzerin, dann als BaFin-Beschwerdebearbeiterin bei der Versicherungsaktiengesellschaft AachenMünchener in Köln. Nach Abschluss eines berufsbegleitenden Studiengangs zur Versicherungsfachwirtin im Alter von 50 Jahren leitete ich das Beschwerdereferat bis zur Rente. Als Rentnerin wollte ich zuerst nur malen, mit Öl oder Acryl auf Leinwand. Was ich anfangs auch umfangreich tat. Per Zufall las ich dann aber von einem 12-monatigen Studienfernlehrgang "Das lyrische Schreiben". Nach dem Abschluss war mir klar, Gedichte zu schreiben ist etwas, was ich bis zum Lebensende machen kann und will - mit Leidenschaft. Lyrik gibt meinem Leben Sinn. Und ist ein guter Grund, nicht lange über das Altern nachzudenken. Die Gedichte von Klaus Merz und Rainer Malkowski sind im Augenblick meine Wegbegleiter, davor waren es Adam Zagajewski und Tomas Tranströmer.

 

02. NAHBELLFÖRDERFRAGE

Du bist also sozusagen eine Senior-Diplomdichterin! Das amerikanische "creative writing" wurde hierzulande ja immer schon etwas belächelt, nicht nur als Hobby talentloser Rentner gegen ihre Langeweile und Einsamkeit, sondern überhaupt als Tabubruch gegen die Vorstellung des authentischen, originellen Genies, das alles aus sich selbst heraus erfindet. Andererseits wurden Ausbildungen zum Literat dank Christian Ide Hintzes Wiener "Schule für Dichtung" und dem Poesiepädagogik-Lehrgang von Prof. Lutz v. Werder dann doch noch salonfähig. Und die Literaturinstitute in Leipzig und Hildesheim setzen diesem Trend zum "Berufslyriker" endgültig ein goldenes Sahnehäubchen auf. Bedeutet das denn, das man kein angeborenes Genie sein braucht, sondern jeder Mensch im Beuysianischen Sinne Dichter werden kann, wenn er genügend gefördert wird? Erkennst Du einen Qualitätsunterschied zwischen Deinen ersten lyrischen Gehversuchen und jenen Gedichten, mit denen Du sogar schon Preise wie den postpoetry.NRW gewinnen konntest? Kannst Du hier zwei Gedichte anbringen, die Deinen anfänglichen Ehrgeiz und die heutige Reife repräsentieren? Wie stehst Du zu dem ganzen hier von mir angeschnittenen Thema?

 

02. NAHBELLFÖRDERANTWORT

Vorweg: Es gab 1. nur ein Abschlusszeugnis über die erfolgreiche Teilnahme, 2. war der Lehrgang nicht speziell für Senioren. Braucht nicht jedes Haus ein gutes Fundament? Egal, wie genial die Form ist, die jemand darauf stellt? Wer ist schon ein angeborenes Genie? Wer hat im Vorschulalter angefangen, Lyrik zu schreiben und es im Laufe seines Lebens zur Meisterschaft gebracht? Anatole France (1844–1924), eigentlich François Anatole Thibault, französischer Erzähler, Lyriker, Kritiker und Historiker, Nobelpreisträger für Literatur 1921, sagte: "Talent ist nur große Geduld." Talent braucht zu seiner Entfaltung Anregungen und gezielte Unterstützung. Und die habe ich durch das Fernstudium bekommen. Es gibt kein Vorher/Nachher bei meinen Gedichten. Juli 2010 habe ich das Studium begonnen. Seitdem schreibe ich Gedichte. 2012 wurden von mir fünf Texte in der Anthologie zum Feldkircher Lyrikpreis unter weiteren eingereichten Texten veröffentlicht. Hätte ich es ohne das notwendige Handwerk auch so schnell geschafft? Der Persönlichkeitspsychologe Ernst Hany ist der Ansicht: "Kreativität ist nur sehr bedingt trainierbar." und "Fleiß, Neugier und Offenheit - das sind die wichtigsten Voraussetzungen für kreatives Handeln." Für mich gilt: Jede Woche Lyrik von guten Lyrikern lesen, für die ich mich begeistern kann; ein Thema finden für ein Gedicht, was mir wirklich wichtig ist; nach Worten, Wendungen, Bildern, Vergleichen suchen; Gedichte bis zur Veröffentlichung überarbeiten. Wenn es sein muss, gefühlte hundert Mal. Meine neuesten Gedichte, an denen ich seit einem Jahr arbeite, möchte ich hier nicht veröffentlichen, weil ich mich laufend an Wettbewerben beteilige und die Gedichte zumeist unveröffentlicht sein müssen. Aber ich nehme mal eins zum Thema Klimawandel aus meinem ersten Lyrikband und eins zum Thema Maler/Malerei aus meinem vierten Lyrikband, der aber erst im Herbst 2019 erscheint.

 

geduldig wartet die erde

(Aus "der himmel ist kein geschenk", 2013)

 

am morgen. die vier elemente
sitzen am tisch und spielen
versessen ein spiel nach
dem anderen. der einsatz ist
hoch. sie versetzen dünen,
falten gebirge, schnippeln kontinente
auseinander oder stecken sie
zusammen. türmen wellen
auf und versenken schiffe,
werfen häuser und bäume
aus dem spiel. zug um zug,
wie es im buch der erde
geschrieben steht. der himmel
über der erde schläft
einträchtig wie ein bruder. uns
reißen sie gewaltsam aus dem
schlaf und lassen uns vor
angst erstarren.
hört endlich auf, schreien wir.
spielverderber, antworten sie.

 

 

weiter / nichts als

(Aus "ein gefühl, das nicht trägt". Erscheint im Herbst 2019 im Kid-Verlag, Bonn.

Zyklus Gerhard Richter, Neue Bilder)

 

der klang von rakel spachtel messer
in der stille des raums der maler
stellt sich / der einsamkeit zieht
der tag ihn hinein die sprache &
das denken taugen / kaum beim malen
weist die hand den weg durch hunderte
von bildern gereift entfalten sich
farben auf mannshoher leinwand durch
körpereinsatz seine passion traut den späten
jahren / noch etwas zu farbigkeit
stellt sich nicht quer wenn weiß
neben schwarz steht rot neben gelb
aus lust & zerstörung wächst aus
schwerer schwärze eine schillernd
wilde farbnatur deren schönheit
das gleichgewicht zu halten versteht
& nicht im schatten lebt zufällig
gesetztes schafft im prozess kraft-
vollen rausch so fühlt sich freiheit an
wenn das können in die jahre kommt
ganz & gar in den dienst von farben gestellt
ohne kompromisse

 

03. NAHBELLFÖRDERFRAGE

Fühlst Du Dich mit Deinem Schreibstil irgendeiner Mikroszene des Lyrikbetriebs verbunden? Gibt es Kollegen, die Dich schätzen, und andere, die Dich als "studierte" Nachahmerin ablehnen? Solche, die behaupten, Du schriebest "wie" diese und jene berühmte Autorin, die das Hoheitsrecht auf einen bestimmten Stil oder eine Schreibtechnik hätten? Welche ernstzunehmende "konstruktive" Kritik wurde bereits an Deinen Werken verübt?

 

03. NAHBELLFÖRDERANTWORT

Die Lyriker und Lyrikerinnen, die ich kenne, haben sich alle einen eigenen Schreibstil erarbeitet. Auch wenn ich zu jeder Zeit den einen oder anderen "großen" Lyriker geschätzt habe, ahme ich niemanden nach. Komischerweise ziehen mich die Gedichte von Lyrikern mehr an. Negative Kritik ist mir bislang nicht zu Ohren gekommen. Vielleicht habe ich am Anfang dem Leser/der Leserin zu wenig Spielraum gelassen. Das beherzige ich im Moment. Weiß ich doch, dass bei lyrischen Texten die Eindeutigkeit zur Nebensache wird, die im Alltag Missverständnisse ausschließt. Der Leser/die Leserin hat es dadurch aber schwieriger. Bei wichtigen Themen lässt sich für mich das Was nicht immer nur durch das Wie ersetzen. Aber ich finde: Solange man für das Schreiben nicht bezahlt wird, sollte man selbst entscheiden, (was und) wie man schreibt. Mich einem Trend zu unterwerfen, gefiele mir nicht. Positive Kritik ist im Internet veröffentlicht. Ich füge die Links bei: @lorbeer-verlag.de & @fixpoetry.com . Bei vielen Wettbewerben gibt es keine Laudatio. Leider.

 

04. NAHBELLFÖRDERFRAGE

(A) Hast Du ein poetisches Ziel vor Augen, was Du unbedingt bis zum Tod "weggeschrieben" haben willst? Eine finale Vision von Deiner Poesie? Oder irgendeinen anderen Plan, ein Konzept, eine Idee, die Deine Gedichte auf einer übergeordneten Ebene verbindet? (B) Bist Du nach der Vollendung eines Gedichtes erstmal gesättigt und pausierst oder wartet dann bereits ein neuer Gedankenfunke darauf, entfacht zu werden? (C) Arbeitest Du an mehreren Texten parallel, weil ihre Entstehung einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt? Ich kenne das so extrem bislang nur von Theo Breuer, der mir vor langer Zeit sagte, er überarbeite manche Gedichte mehrere Male im Laufe einiger Jahre, weshalb es dann sogar verschiedene veröffentlichte Versionen gibt...

 

04. NAHBELLFÖRDERANTWORT

(A) Träumen kann man ja. Mir fällt wieder ein, dass Jürgen Nendzas wunderbarer Gedichtzyklus "Apfel und Amsel" vom französischen Komponisten und Dirigenten Patrick Otto vertont und 2018 in Aachen aufgeführt wurde. Eine Vertonung könnte ich mir im kleinen Rahmen vorstellen, vielleicht mit ein oder zwei Instrumenten im Hintergrund. Oder Kurzfilme in Verbindung mit gesprochenen Texten im Hintergrund. Inspiriert hat mich auch der Gedichtband Blauwärts. Ein Text- und Bildbuch, das Hans Magnus Enzensberger, der Bildkünstler Jan Peter Tripp und die Gestalterin Justine Landat geschaffen haben. Es wäre eine wunderbare Sache, so etwas in ähnlicher Form zu machen. (B) Ich pausiere nie. Romanautoren setzen sich auch morgens an den Schreibtisch und schreiben, ob mit oder ohne Gedankenfunken. (C) Ich schreibe immer an mehreren Gedichten gleichzeitig. 10 Stück liegen meistens ausgedruckt auf dem Schreibtisch und warten auf ihre Überarbeitung. Ich fange immer wieder von vorne an. Nicht selten ist der Funke, der Veranlasser des Gedichts, am Ende erloschen. Ob das Gedicht dann besser ist, weiß ich nicht zu sagen. Die alten Versionen vernichte ich. Sonst verliere ich die Übersicht.

 

05. NAHBELLFÖRDERFRAGE

Warum bevorzugst Du als Ausdrucksmittel die Lyrik gegenüber der Prosa? Oder hast Du Dich auch schon an Kurzgeschichten versucht? Liegt gar ein angefangener Roman in Deiner Schublade, an dem Du ähnlich akribisch bastelst wie an den Gedichten?

 

05. NAHBELLFÖRDERANTWORT

Ich bin in der Regel wortkarg. Die Lyrik kommt mir da sehr entgegen. Romane wird es nicht geben. An Kurzgeschichten habe ich mich schon versucht. Für Preise hat es nicht gelangt.

 

06. NAHBELLFÖRDERFRAGE

Misst Du die Qualität Deiner Texte am Erfolg?

 

06. NAHBELLFÖRDERANTWORT

Die Kunst Vincent van Goghs ist sicherlich ein Beispiel dafür, dass Qualität ungleich Erfolg ist. Aber hätte der Erfolg nicht etwas ganz anderes mit seinem Leben gemacht? Ich kann meine Texte manchmal nicht beurteilen. Wenn sie bei Wettbewerben nie Berücksichtigung fänden, nie einen Preis bekämen oder man sie nicht einmal für die Anthologie zum Preis aussuchte, kämen mir Zweifel. Obwohl Wettbewerbe nicht unterschiedlicher von der Art der Juroren und ihrer Erwartungen an die Texte sein können. Abhängig vom Erfolg ist auch der Verkauf der eigenen Lyrikbände.

 

07. NAHBELLFÖRDERFRAGE

Was den angeblichen Zusammenhang zwischen Erfolg und Verkauf betrifft, habe ich selber eine ganz andere Erfahrung: ich verkaufe seit Jahren sehr viele Buchexemplare pro Quartal (100% abhängig von meinen eigenen Werbekampagnen im Internet!), obwohl ich weder konventionelle Preise gewann noch von Verlagen des Establishments vertreten werde. Umgekehrt höre ich immer wieder, daß literaturferne Leute "berühmte" Dichter nicht kennen, obwohl sie im Lyrikbetrieb wie Stars hofiert werden. Bei der Thalia-Filiale in den Bilker Arkaden gibt es noch nicht einmal ein Lyrikregal: da stehen nur einige Standardklassiker wie Bertolt Brecht, aber selbst eine Tagesschau-Prominenz wie den Gemüsedichter Jan Wagner sucht man dort vergeblich, weil es wohl keine Nachfrage gibt! Für mich wird dadurch deutlich, wie sehr die Bedeutung des Internets und speziell der sozialen Medien noch immer unterschätzt wird. Die richtigen Hashtags und Domainnamen werden im Rahmen des Digitalpakts viel wichtiger als das Prestige etablierter Institutionen, wenn eigenständig mithilfe von Stichworten nach Bildungsinhalten recherchiert wird. Eine Buchhändlerin erklärte mir letztens erst, daß ihre Kunden einen Roman eher als Lyrik kaufen, weil sie mehr Text für denselben Preis bekommen und den sogar leichter verstehen. Da hilft auch das schönste bibliophile Layout nicht. Da ich nur noch selten zu Lesungen eingeladen werde, kenne ich meine Käufer nicht mehr persönlich und weiß daher nicht, was sie zum Kauf eines Lyrikbandes veranlasste geschweige denn ob sie die Gedichte im Endeffekt mochten oder enttäuscht waren. Ich muss mich also auf meine eigenen inneren (seelischen) Werte, Maßstäbe und die Kriterien verlassen, nach denen ich das Dichten jahrzehntelang "geübt" habe. Wenn ich jetzt trotzdem noch Preise verliehen bekäme, würde das nichts an meiner lyrischen Alltagspraxis ändern. Von daher ist mir Deine gesamte Argumentation ziemlich fremd und macht mich neugierig! Ich hoffe, daß die Leser unseres Interviews das genau so spannend finden... Karin, eine letzte Frage hätte ich noch, weil Du den Klimawandel thematisierst: würdest Du gerne mit Deiner Lyrik einen politischen Einfluss auf die Gesellschaft haben? Kann Lyrik überhaupt politisch sein? Ich muss da an die 68er denken, die Kunst als aktionslos und daher wirkungslos abstempelten, was wiederum zur performativen Aktionskunst und Bewegungen wie Fluxus führte. Siehst Du in Deinen Gedichten ein Potenzial zur Bewusstseinsveränderung eines Lesers? Welche Wirkung wünscht Du Dir auf den Leser? Oder hast Du gar keine Erwartungen, was die Verarbeitung der lyrischen Inhalte betrifft?

 

07. NAHBELLFÖRDERANTWORT

Du hast dir eine enorme Internetpräsenz aufgebaut und bist seit Jahrzehnten aktiv. Es freut mich zu hören, dass der Verkauf auch so klappen kann. Mir ist klar, dass ich präsenter im Internet sein muss. Ich habe nicht mal eine Homepage, weil ich die Kosten dafür scheue. Die Buchhandlungen wie z. B. Thalia und Mayersche müssen ihre Einstellung ändern und auch der Lyrik eine Chance geben. Sie geben sie auch Romanen, unabhängig vom Bekanntheitsgrad oder der Romanqualität. Da sie keine "neuen" Anthologien und Lyrikbücher in den Lyrikregalen haben, weichen Käufer auf Online-Bestellungen aus. Dann müssen sie nicht ein weiteres Mal zur Buchhandlung, um das Buch abzuholen. Präsentierten Buchhandlungen die Lyrik genauso so gut wie Romane, griff manch einer auch danach, da bin ich mir sicher. (Ist der Aufsatz "Warum führt die Lyrik so ein Schattendasein?" von dir?)* Die Buchhändlerin hätte sagen müssen, dass das Schreiben von 100 Gedichten die Zeit für einen Roman beansprucht, man Gedichte über einen langen Zeitraum immer wieder lesen kann, jeden Tag eins, als Start in den Tag. Ein Buch, das mir nicht gefällt, lege ich z. B. schnell beiseite (Ich habe ein Jahres-Abo bei der Stadtbibliothek)**. Mit Lyrik könnte man die Realität ein wenig ändern, würde sie von Millionen gelesen. Aber selbst dann gelänge es Greta Thunberg nach wie vor schneller und wirkungsvoller mit Auftritten und Aktionen. Es ist mir ein Bedürfnis, Gedichte, neben vielen anderen Themen, der Natur zu widmen. Der Mensch ist von der Natur abhängig, nicht sie vom Menschen. Wenn das Gespür zur Natur und zu sich selbst ein sensibleres wird, habe ich meine Leser erreicht.

 

* Anm. G&GN: Nein, der Aufsatz stammt nicht von Tom de Toys, sondern laut Quelle von Siegfried Schüller
**Anm. K.P.: Der Zusatz in Klammern (Ich habe ein Jahres-Abo bei der Stadtbibliothek) könnte darauf schließen lassen, ich kaufte keine Bücher. Ich kaufe Unmengen von Lyrikbänden, selten aber einen Roman.