13. NAHBELLPREIS 2012: Clemens Schittko

"Rolf Dieter Brinkmann hätte das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium nie erhalten"

 

"...Zensor heißt jetzt Le(c)ktor / Le(c)ktor heißt jetzt Produktmanager / Esoterik heißt jetzt Poesie / Poesie heißt jetzt Lyrik / Lyrik heißt jetzt Lüge / Dichter heißen jetzt Lyriker, / aber nicht Lügner / Poetik heißt jetzt Poetologie / wenn Angelus Novus / mit zerissenen Flügeln / aus dem Koma erwacht / (...) / Zensur heißt jetzt Selbstzensur / Selektion heißt jetzt Casting / DSDS heißt jetzt Bachmann-Preis / Literaturmafia heißt jetzt Lyrikbetrieb / Lyrikbetrieb heißt jetzt Betriebslyrik / Betriebslyrik heißt jetzt KOOKbooks / oder Lyrik von Jetzt (eins, zwei usw.) / ihre über 100 Exponenten, / all diese selbstverliebten, / internetsüchtigen Bresemänner / und Teen-Leber-Tran-Tüten, / heißen jetzt Schlappschwanzlyriker / und sollen endlich arbeiten gehen / man kennt alles, / hat aber kaum etwas selbst erlebt / der Diebstahl geistigen Eigentums / heißt jetzt Intertextualität, Nullerjahre / oder copy & paste / real-sozialistische Literatur heißt jetzt / sozial-realistische Lyrik oder umgekehrt / (...) / Literatur heißt jetzt behaupten / behaupten heißt jetzt enthaupten / Will Hunting heißt jetzt Clemens Schittko / Clemens Schittko heißt jetzt Gegen-Lyrik / Gegen-Lyrik heißt jetzt Anti-Literatur / nicht schreiben ist auch keine Lösung..."
C.Schittko, in: WHO IS WHO / IS WHO OR WHAT

 

 


G&GN-Pressemitteilung 2012

Ein Jahr lang hatte sich Hadayatullah Hübsch bereits auf den 12.Nahbellpreis 2011 vorgefreut, doch es kam anders: Anfang des Jahres seiner Ehrung verstarb er und wurde dadurch zum ersten TOTEN Dichter des alljährlich an "deutschsprachige lebende Dichter" verliehenen alternativen Lyrik-Nobelpreises für die "lebenslängliche Zeitgeistresistenz und Unbestechlichkeit im poetischen Gesamtwerkprozess" laut Urkunde. Eigentlich wollte das G&GN-Institut die Verleihung des symbolisch "weltweit höchstdotierten" Literaturpreises (zehn Millionen Euro, sobald ein geeigneter Sponsor gefunden ist!) nach diesem Szene-Schock einstellen, aber dann geschah ein unerwartetes Wunder: mit CLEMENS SCHITTKO tritt ein Vertreter der jungen Generation auf den Plan, der mit seiner radikal wahrheitsverliebten Wortakrobatik die Hoffnung verbreitet, daß der Literaturbetrieb doch noch mit stilistischen Elementen unterwandert werden kann, dank derer die pervertierten Begriffe "Poplyrik" und "Politlyrik" wieder ihrer ursprünglichen Bedeutung folgen...


Clemens Schittko, geboren 1978 in Berlin/DDR. Ausgebildeter Gebäudereiniger und Verlagskaufmann. Abgebrochenes Studium der Literatur-, Musikwissenschaft und Philosophie. Arbeitete u.a. als Fensterputzer und Lektor. Seit 2002 über 100 Zeitschriften-Veröffentlichungen im Over- und Underground. Lebt derzeit in Berlin(-Friedrichshain).

Kritik am Literaturbetrieb: "Artaud ist tot" ist sein zehnter Gedichtband im neunten Verlag. Andere Lyrikerinnen und Lyriker von seiner Qualität wären längst in der Preis- und Förderspirale angekommen. Vielleicht ist Clemens Schittko trotz eines bescheidenen, fast schüchternen Auftretens, etwas zu laut in seiner Lyrik. Schittko selbst nimmt sich gar nicht so wichtig. Wichtig ist ihm seine Lyrik. Und was er mit ihr zeigen kann. Das zeigt er so gut wie kaum ein anderer, weshalb ihn der Tagesspiegel einmal zum derzeit "interessantesten lebenden deutschen Lyriker" geadelt hat. Daraus hat Schittko übrigens ein selbstironisches Gedicht gemacht. Es ist der gekonnte Einsatz von lyrischen Produktionsmitteln, die Schittkos gesellschaftskritische Gedichte weit über das Niveau öder Anklageschriften hebt. Der 44-Jährige schöpft aus dem Vollen der künstlerischen Tradition. Im neuen Gedichtband "Artaud ist tot" sind es Pastiches, also literarische Imitationen von Lyrikern wie Eugen Gomringer, Williams Carlos Williams oder H.C. Artmann, Ready-mades, wenn etwa Kneipenaushänge aus dem zweiten Corona-Lockdown zu Versen werden oder Ideogramme wie das "Schneegedicht", stilisiert mit weißen Versen auf weißem Papier, um nur ein paar zu nennen. Oft reicht schon der Gedichttitel, um zu entlarven: "Rolf Dieter Brinkmann hätte das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium nie erhalten". Schittko ist bekennender "Hartzer". Er bezieht Arbeitslosengeld, fühlt sich dadurch unabhängig von Preisgeldern und Stipendien und teilt mit erfrischender Frechheit aus: "die sogenannte zeitgenössische Lyrik hat zwei Probleme: sie ist weder zeitgenössisch noch Lyrik".
AUS DER REZENSION IM DEUTSCHLANDFUNK KULTUR (André Hattin, 5.1.2023)

 

"die sogenannte zeitgenössische Lyrik hat zwei Probleme: sie ist weder zeitgenössisch noch Lyrik"


Übernommen von der LYRIKZEITUNG (1.7.2017)

Clemens Schittko

Weiter im Text

 

es ist vorbei

wir sind am Ende

der Faden ist gerissen

die Würfel sind gefallen

die Tage sind gezählt

nichts kommt mehr

und nichts findet noch statt

es war alles schon mal da

jede Note wurde schon einmal gespielt

jedes Wort wurde schon einmal gesprochen

jeder Strich wurde schon einmal gezeichnet

gebt endlich auf

es ist vorbei

wir sind am Ende

der Kuchen ist gegessen

der Drops ist gelutscht

die Messe ist gelesen

alle Fragen wurden gestellt

es gibt nur noch Antworten

es gibt nur noch Wahrheiten

alle austauschbar

alle beliebig

alle gleich gültig

nichts kommt mehr

und nichts ereignet sich noch

es ist einfach nichts

nicht einmal die Leere

nicht einmal das Nichts

es ist vorbei

der Zug ist abgefahren

Schicht im Schacht

Affe tot

aus die Maus

Ende im Gelände

es ist schlichtweg aus

nur der Tod ist gewiss

erkennt ihn endlich an

wer nicht krank sein will,

soll die Krankenhäuser abreißen

wer nicht sterben will,

soll das Gleiche mit den Pflegeheimen tun

wer nicht tot sein will,

soll die Friedhöfe einebnen

es ist vorbei

unsere Zeit ist abgelaufen

das Spiel ist aus

wir sind am Ende

auch die Demokratie hat versagt

die Reichen sind reicher geworden

die Armen sind ärmer geworden

und auch der Kapitalismus hat versagt

auch er hat den Tod nicht abgeschafft

es ist aus und vorbei

geht nicht länger arbeiten

geht nicht länger wählen

werft all euer Geld weg

und zerreißt eure Verträge

hört auf, irgendwelchen selbsternannten Eliten in den Arsch zu kriechen

hört auf, zu gefallen

hört auf mit dem ewigen Gefällt-mir-Klicken

das Neue war nie neu

das Junge war nie jung

das Andere war nie anders

das Alternative war nie alternativ

also gebt endlich auf

es ist vorbei

dies ist das Ende

nichts geht mehr

und nichts wird noch kommen

alles ist vorüber

packt eure Brüste ein

steckt eure Schwänze weg

und schiebt euch eure Handys und Smartphones in den Arsch

jede Tätowierung ist die Sehnsucht nach Hautkrebs

jedes Piercing ist die Sehnsucht nach einer Schusswunde

wer Fleisch essen will,

soll sich „sein“ Tier selber schlachten

wer Fleisch essen will,

soll „seine“ Haustiere töten

wer Fleisch essen will,

soll zum Kannibalen werden

verzehrt euch selbst

fickt euch selbst

Totsein werdet ihr so oder so

ihr habt lediglich die Freiheit, zu wählen,

wie ihr sterben wollt

jede Tätowierung ist die Sehnsucht,

ein Soldat oder ein Häftling zu sein

doch es ist ja nichts

nichts ereignet sich

nichts geschieht

und nichts passiert

wir müssen passen

alles ist passé

von nichts kommt nicht nichts

von nichts kommt etwas

etwas kommt von nichts

und etwas ist nicht nichts

die sogenannte Mitte hat sich radikalisiert

es gibt keine normalen Menschen mehr

es gibt nur noch Dicke und Dünne

in den allabendlichen Talkshows sitzen fast nur alte hässliche Männer und reden über Demokratie,

als meinten sie Gott

(dabei meinen sie nur sich selbst)

und wenn es ein paar Frauen gibt,

dann müssen sie jung und schön sein

doch wie gesagt:

es ist vorbei

alles ist hin

alles ist hinüber

alle Schlachten wurden geschlagen

alle Kriege sind verloren gegangen

wir brauchen noch mehr Nazi-Dokus

den Führer nonstop auf allen Kanälen

Hitlers Helfer

Hitlers Frauen

Hitlers Hund

und Hitlers Leiche

die Wolfsschanze

Berchtesgaden

der Obersalzberg

es war doch nicht alles schlecht

die Menschen hatten wenigstens Arbeit

wir brauchen noch mehr weinende Veteranen-Greise

wir brauchen noch mehr jammernde Krieger-Witwen

nichts soll dem Tod anheimfallen

nicht einmal die Demenz

verzehrt euch selbst

fickt euch selbst

tötet euch selbst

das heißt:

tötet euch lieber selbst,

bevor ihr andere tötet

tötet euch lieber selbst,

bevor euch andere töten

seid so frei

ihr könnt tun und lassen,

was ihr wollt

wovor habt ihr denn noch Angst?

es gibt kein Privateigentum mehr

alles gehört allen

das heißt:

niemandem gehört nichts

das heißt:

ihr gehört endlich euch selbst

schiebt euch eure Smartphones und Handys in den Arsch

seid die fünf Minuten Fußweg zwischen S-Bahnhof und Mietwohnung jetzt endlich wieder allein

stellt euch eurer Einsamkeit

akzeptiert eure Langeweile,

eure Sterblichkeit,

euren Tod

denn es ist vorbei

wir sind mit unserem Latein am Ende

wir sind mit der deutschen Sprache am Ende

wir sind mit dem Deutschen am Ende

wir sind am Ende

das Spiel ist aus

die Zeit ist um

die Tage sind gezählt

nichts kommt mehr

es war alles schon einmal da

lebt wohl

macht´s gut

wir sehen uns nicht wieder

das war´s

ich gehe jetzt

es ist vorbei

 


Übernommen von der LYRIKZEITUNG (10.1.2023)

Clemens Schittko

Nachruf auf eine Jahreszeit

(Berlin Version)

 

es schneit nicht mehr

kein Schnee fällt mehr nieder

es schneit nicht mehr

und wenn es doch noch schneit,

so bleibt der Schnee nicht liegen

er schmilzt dahin,

sobald er den Boden berührt

doch wie gesagt:

es schneit nicht mehr

kein Schnee fällt mehr nieder

 

 

Übernommen von SCHEINSCHLAG (Ausgabe 2/2004)

Interview: Florian Neuner

Was ich vermisse, sind Verlierertypen

Der Lyriker Clemens Schittko über Gedichte und ihre Vermarktung

Du hast vor kurzem damit begonnen, Lyrik in verschiedenen Literaturzeitschriften zu publizieren. Welche Erfahrungen hast du mit diesem Teil der literarischen Öffentlichkeit gemacht?

 

Die Erfahrungen waren bislang recht unterschiedlicher Art. So schön es auch ist, seine eigenen Texte in vielen kleineren Literaturzeitschriften gedruckt vorliegen zu sehen, scheiterte bislang der Versuch, bei den größeren wie ndl, manuskripte oder SINN UND FORM zu erscheinen. Was, so glaube ich, weniger daran liegt, daß die eingereichten Texte so schlecht wären, sondern eher an der Tatsache, daß in den Redaktionen eine Allergie gegenüber sogenannten „unverlangt eingesandten Manuskripten" besteht und lieber auf altbewährtes Material zurückgegriffen wird.

 

Bedenkt man, daß es im deutschsprachigen Raum weit mehr als 250, 300 Literaturzeitschriften gibt, von denen vielleicht ein bis zwei Zehntel einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich und bekannt sind, so scheinen mir just diese wenig repräsentativ zu sein für das, was zeitgenössische Literatur heute in der Lage wäre zu leisten, wenn man sie ließe.

 

Wie sieht der deutschsprachige „Lyrikbetrieb" aus? Wer und was sind die wichtigsten Institutionen und Personen und welche Interessen verfolgen sie?

 

Schenkt man den Zahlen Glauben, die besagen, daß der Marktanteil von verkauften Lyrikbänden am Gesamtumsatz verkaufter Literatur weit weniger als ein Prozent beträgt ­ Tendenz weiter fallend ­, so zweifle ich stark daran, ob man überhaupt von einem „Lyrikbetrieb" sprechen kann. Um heute ein Buch ohne Verluste zu veröffentlichen, muß man so um die 1500 Exemplare verkaufen, was jedoch nur eine Handvoll Lyriker schaffen. Alle anderen werden mit ihren Bänden mehr oder weniger „durchgefüttert".

 

Demnach sehe ich innerhalb des „Lyrikbetriebs", der im deutschsprachigen Raum ja durch einige Hundert Kleinverlage, Editionen, Handpressen und Literaturzeitschriften mit Auflagen von manchmal nur 100 bis 200 Exemplaren gekennzeichnet ist, nicht die Institutionen und Personen, die auf eine Mehrheit von Lyrikern den Einfluß hätten, der sich für die Literatur nachteilig auswirken könnte.

 

Was jedoch die gegenwärtigen gesellschaftlichen Zusammenhänge von Bildung, Popkultur, Konsumorientierung usw. anbelangt, so denke ich, daß zumindest eine, wenn nicht sogar die offizielle Szene im „Lyrikbetrieb" massiv von außen und nur von dort „gemacht" und gelenkt wird. Dies zeigt sich insbesondere bei der Vergabe von Preisen und Stipendien, den Ausschreibungen von Literaturwettbewerben, den Honorarzahlungen bei Lesungen durch Kulturbehörden, Stiftungen und Vereine, die oftmals nur unzureichende Literaturkenntnisse besitzen, sowie den wenigen Großverlagen wie Suhrkamp, Hanser oder Kiepenheuer, die letztlich ja darüber mitentscheiden, wer was wie wo veröffentlichen darf und wer nicht.

 

Lyriker sind unverdächtig, ihrer Passion aus Geldgier zu frönen. Wie erklärst du dir, daß sich dennoch so viele deiner Generationsgenossen, meist bei dürftigsten literarischen Kenntnissen, als Lyriker inszenieren wollen?

 

Es sind ja nicht allein die literarischen Kenntnisse, die einen Lyriker von einem Nicht-Lyriker unterscheiden, selbst wenn so mancher Germanistik-Student im 6. Semester wohl bessere Gedichte schreibt als viele meiner „Kollegen", ohne damit die Öffentlichkeit belästigen zu müssen. Ich denke, daß dieses Sich-inszenieren-Wollen zu einem generellen Phänomen unserer Zeit geworden ist. Man will ja nicht nur Dichter, Poet und Lyriker sein, sondern man wird auch dazu gemacht. Sehe ich mir heute die Kurz-Vita vieler 20jähriger Autoren an, so könnte man fast meinen, da würden ein neuer Rimbaud, ein neuer Hofmannsthal schreiben oder jemand, der den Großteil seines Lebens schon hinter sich hat, so viele Preise stehen da aufgelistet. Heute erhält man doch ­ wie zu DDR-Zeiten nicht anders ­ für jeden Furz eine Auszeichnung, die in keinem Verhältnis zu dem steht, was geleistet wurde. In der Tat sind Biographien vorhanden, gerade weil das literarische Werk fehlt. Was ich in der heutigen Gesellschaft vermisse, sind Einzelgänger, gescheiterte Existenzen, einfach Verlierertypen, die sich so erbärmlich und einsam fühlen, daß ihnen gar nichts anderes übrigbleibt als zu schreiben, die letztlich diese Einsamkeit sogar aufsuchen, um überhaupt noch schreiben zu können.

 

Die literaturWERKstatt hier in Berlin propagiert seit längerer Zeit mit einiger Verve Lyrik abseits des traditionellen Printmediums: als „Wortkonzert", Multimedia-Spektakel, in Verbindung mit anderen Künsten. Wie beurteilst du diese Entwicklung?

 

Für mich stellt das, was Thomas Wohlfahrt in der literaturWERKstatt betreibt, im wesentlichen nichts Neues dar. Artistische Sprachbehandlung finden wir bereits in der Barockliteratur, die ihre Fortführung im 20. Jahrhundert bei den Dadaisten und Surrealisten findet, bei August Stramm und Gertrude Stein ­ nicht zu vergessen die Lautdichtungen, Textmontagen, Seh- und Hörtexte der Wiener Gruppe. Ich finde auch, daß allein über die Sprachmelodie, den Klang der Worte, an denen man sich auf den Veranstaltungen der literaturWERKstatt in einer sinnlichen Art berauschen kann, die inhaltliche Komponente, die ja nun einmal neben der formalen etwa die Hälfte eines Gedichtes ausmacht, fast vollständig verlorengeht. Daß diese Spektakel von Großkonzernen wie DaimlerChrysler gesponsert werden, gegen die sich ein Hans Magnus Enzensberger in den sechziger Jahren noch scharf gerichtet hat, macht diese Lyrik nicht unbedingt sympathischer.

 

Warum überhaupt (noch) Lyrik?

 

Viele meiner „Generationsgenossen" sind der Meinung, daß seit der Verabschiedung der Postmoderne und der Avantgarden des 20. Jahrhunderts in der Lyrik eigentlich nichts Neues mehr möglich wäre. Würde diese These stimmen, wäre die Gattung Lyrik mittlerweile schon tot. Wer glaubt denn wirklich ernsthaft daran und schreibt dennoch weiter? Was Gedichte heute noch leisten könnten und was ja eigentlich seit Gottfried Benn so richtig begonnen hat, ist die Frage nach einem Ich, das nicht unbedingt „das lyrische Ich" im Gedicht sein muß. Multimedial wird ja unser Ich immer weiter fragmentiert. Die Aufgabe des Lyrikers könnte es sein, dieses zu defragmentieren, sich auf die Suche nach ihm zu begeben ­ im Kosmos wie in den eigenen Körperzellen.

 


EXTRA-LESEPROBE: Langgedicht "Who is who / is who or what"



"Marx' zu Tode zitiertes Bonmot, man müsse den Verhältnissen ihre eigene Melodie vorspielen, um sie zum Tanzen zu bringen – in Clemens Schittkos Gedichten fände es einmal seine Erfüllung. Im Ordnen der Dinge wird ihre Ordnung brüchig, in der Entleerung der Phrasen und Begriffe tritt ihre versteckte Bedeutung hervor. Doch Schittkos Montage-Methode entstellt die Phrasenhaftigkeit der Welt nicht nur ideologiekritisch zur Kenntlichkeit, sondern setzt auch ihre groteske Komik frei."

XS-Verlag, über: "ARTAUD IST TOT" (1.Edition 2022)


Clemens Schittko live in Düsseldorf beim 3.OFFLYRIKFESTIVAL.de 2017, seit 2020 als Lehrstoff für den Deutschunterricht in NRW: