"Die sich ermächtigt fühlen, Literaturpreise zu verteilen, haben in der Regel nicht viel mit Literatur zu tun. (...) Hat ein Name in den Köpfen etablierter Juroren Platz genommen, wird jede spätere, weniger sattelfeste Jury dem einmal preisgekrönten Dichter unbesehen den eigenen Literaturpreis hinterhertragen. Voraussetzung: die erste, maßgebliche Jury bestand aus anerkannten Hintergrundfiguren des Literaturbetriebs. (...) Insider und Macher wissen da besser Bescheid und können ziemlich leicht beweisen, daß es die Literaturmafia nur in der Vorstellung von Undergroundliteraten gibt, die sich selbst nichts zutrauen. Die beliebige Zusammensetzung jeder Jury führt praktisch dazu, daß jeder Bürger einen Literaturpreis aussetzen und vergeben kann. Im westdeutschen Literaturbetrieb ist die Ein-Mann-Jury bereits institutionalisiert. Dies ist - auf die Literatur beschränkt - die höchste Form, der edelste Ausdruck bei uns realisierbarer Demokratie. (...) Wo Originalität eine Frage von Reklame ist, da schlägt die Sternstunde der Abstauber. Genug öffentliche Mäzene lassen sich finden. Sie geben den preiswütigen Kulturfunktionären die Gelegenheit, die Fiktion einer intakten Kulturlandschaft zu verbreiten. Öffentliche Gelder finden Verwendung, um die Öffentlichkeit irrezuführen. (...) Es war schon viel, daß einige Autoren begriffen hatten, wie wenig die anwesenden Honoratioren, die immerhin mit dem Anspruch auftraten, die Öffentlichkeit zu repräsentieren, PRIVAT hergegeben hätten. (...) Ein progressives Publikum erwartet heute von progressiven Autoren, die Gelder aus der Hand des Kapitals anzunehmen und als Mittel zur Revolutionierung der Gesellschaft einzusetzen. Da progressive Künstler jedoch gerade auch in der eigenen Tätigkeit primär immer Revolutionäre bleiben, können sie die Gelder strenggenommen auch dann nicht individualistisch mißbraucht haben, wenn sie sie ganz oder teilweise privat verwenden."
Klaus Stiller, in: LITERATUR ALS LOTTERIE (1974)
ACHTUNG: Die einzelnen Autorenseiten der meisten Nahbellpreisträger befinden sich derzeit noch zwischengeparkt auf Unterseiten des G&GN-INSTITUTS und werden im Laufe der Jahre 2019/2020 nach und nach hier her übertragen, so daß alle Materialien spätestens zur 21. Preisvergabe am 21.6.2020 hier vollständig zu lesen sind:
"Ich bin der reichste Mann der Welt! // Meine silbernen Yachten / schwimmen auf allen Meeren. // Goldne Villen glitzern durch meine Wälder in Japan, / in himmelhohen Alpenseeen spiegeln sich meine Schlösser, / auf tausend Inseln hängen meine purpurnen Gärten. // Ich beachte sie kaum. // An ihren aus Bronze gewundenen Schlangengittern / geh ich vorbei, / über meine Diamantgruben / lass ich die Lämmer grasen. // Die Sonne scheint, / ein Vogel singt, / ich bücke mich / und pflücke eine kleine Wiesenblume. // Und plötzlich weiss ich: ich bin der ärmste Bettler! // Ein Nichts ist meine ganze Herrlichkeit / vor diesem Thautropfen, / der in der Sonne funkelt." Arno Holz (1863-1929)
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