alle Nahbellpreisträgerinnen seit dem 21.6.2000 mit interviews & gedichten

"Lyrik ist ein family business geworden. Die Zuständigkeit dafür liegt nicht bei der BKM, wirklich nicht, sondern beim Wirtschaftsministerium – Abteilung Mittelstandsförderung. Auch von daher nimmt das Interesse an der Sparte Lyrik beim kunstsinnigen Teil der Republik ab: Freunde stellen Freunde vor, nichts sonst. (...) Was haben Nachwuchslyriker in Vergabegremien verloren? Wer selbst zu 100 % von Förderungen abhängig ist, kann kein unabhängiges Urteil fällen, sondern wird seine Entscheidungen strategisch treffen (müssen). Das ist dann keine Kunstförderung mehr, sondern institutionalisierter Tribalismus. (...) Eine ganze Lyrik-Generation steht in den Startlöchern. Sie wird nichts zu sagen haben. Wie die Generation zuvor. (...) Die ersten Dichter, die Preise ablehnen werden, sind schon geboren. Dann stirbt König Lyrik endgültig. Übernehmen wird das Volk der Poesien. (...) Jeder halbwegs selbstkritische Mitmensch kommt im Fall des Bepreistwerdens ins Grübeln. Ich bin als Preisträger Teil des Problems. (...) Preise sind als Mittel der Poesieförderung völlig ungeeignet. Es ist an der Zeit, Teil der Lösung zu werden. (...) Es gibt mittlerweile keinen Lyrikpreis mehr, dem nicht der Makel von haarsträubenden Fehlentscheidungen anhaften würde. (...) Ich will mich mit Menschen unterhalten und nicht mit Juroren oder Finalisten oder ausgepreisten Maskottchen unterschiedlichster Textwerkstätten! (...) Preise und Wettbewerbe gilt es abzuschaffen! Sonst wird diese Selbstbedienungsmentalität zu einem massiven Kahlschlag führen."
Konstantin Ames, in: "GRUßWORT ZUM ENDEBEGINN DES LYRIKBETRIEBS" (2021)

 

"Die sich ermächtigt fühlen, Literaturpreise zu verteilen, haben in der Regel nicht viel mit Literatur zu tun. (...) Hat ein Name in den Köpfen etablierter Juroren Platz genommen, wird jede spätere, weniger sattelfeste Jury dem einmal preisgekrönten Dichter unbesehen den eigenen Literaturpreis hinterhertragen. Voraussetzung: die erste, maßgebliche Jury bestand aus anerkannten Hintergrundfiguren des Literaturbetriebs. (...) Insider und Macher wissen da besser Bescheid und können ziemlich leicht beweisen, daß es die Literaturmafia nur in der Vorstellung von Undergroundliteraten gibt, die sich selbst nichts zutrauen. Die beliebige Zusammensetzung jeder Jury führt praktisch dazu, daß jeder Bürger einen Literaturpreis aussetzen und vergeben kann. Im westdeutschen Literaturbetrieb ist die Ein-Mann-Jury bereits institutionalisiert. Dies ist - auf die Literatur beschränkt - die höchste Form, der edelste Ausdruck bei uns realisierbarer Demokratie. (...) Wo Originalität eine Frage von Reklame ist, da schlägt die Sternstunde der Abstauber. Genug öffentliche Mäzene lassen sich finden. Sie geben den preiswütigen Kulturfunktionären die Gelegenheit, die Fiktion einer intakten Kulturlandschaft zu verbreiten. Öffentliche Gelder finden Verwendung, um die Öffentlichkeit irrezuführen. (...) Es war schon viel, daß einige Autoren begriffen hatten, wie wenig die anwesenden Honoratioren, die immerhin mit dem Anspruch auftraten, die Öffentlichkeit zu repräsentieren, PRIVAT hergegeben hätten. (...) Ein progressives Publikum erwartet heute von progressiven Autoren, die Gelder aus der Hand des Kapitals anzunehmen und als Mittel zur Revolutionierung der Gesellschaft einzusetzen. Da progressive Künstler jedoch gerade auch in der eigenen Tätigkeit primär immer Revolutionäre bleiben, können sie die Gelder strenggenommen auch dann nicht individualistisch mißbraucht haben, wenn sie sie ganz oder teilweise privat verwenden."

Klaus Stiller, in: LITERATUR ALS LOTTERIE (1974)

ACHTUNG: Die einzelnen Autorenseiten der meisten Nahbellpreisträger befinden sich derzeit noch zwischengeparkt auf Unterseiten des G&GN-INSTITUTS und werden im Laufe der Jahre nach und nach hier her übertragen, so daß alle Materialien hoffentlich spätestens bis zur 25. Preisvergabe am 21.6.2024 hier vollständig zu lesen sind: