"Entwicklung höherer Komplexität als Aufgabe der Kunst - keine Dekoration!"
Jörg Janzer, 9.9.2009
G&GN-Pressemitteilung, Berlin-Neukölln 21.6.2010 / Erstmals in der über zehnjährigen Geschichte des alternativen Lyriknobelpreises für DEUTSCHSPRACHIGE LEBENDE DICHTER hat ein Anwärter den Preis abgelehnt: Der bald 70-jährige Berliner Jörg Janzer (alias Dr. George Ervin Negentropos), ein ehemaliger Psychiater und interdisziplinärer Künstler (Musik, Malerei, Literatur, Performance), nannte als Grund für seine Entscheidung, den Preis abzulehnen, daß seine Werke aus anderen Disziplinen als der Lyrik für ihn persönlich wichtiger sein und ihm bedeutender erschienen als die Gedichte. Tom de Toys, der Erfinder des Nahbellpreises am sogenannten "Institut für Ganz & GarNix", lernte Janzer bereits 1998 kennen, als sich beide noch im Szene-Umfeld des Berliner Kunsthauses Tacheles auf der Oranienburgerstraße im Bezirk Mitte aufhielten. De Toys betrieb 1998-2000 einen Literatursalon im Tacheles und hörte Janzer eines Tages auf der Straße vor dem Kunsthaus in einer Art Trompete spielen, die ihm von der meditativen Technik des Neurotrompeters seiner eigenen Band "Das Rilke Radikal" vertraut war. Seitdem De Toys kurz darauf Janzers Texte in einer Vitrine im Alten Postamt ausgestellt sah, ist er begeistert von dessen poetischem Talent, das in mehreren Disziplinen spürbar wird. So verstrahlen auch die Miniaturzeichnungen von Buddha im konturbetonten Comicstil, die vor einigen Jahren auf der Kreuzberger Oranienstraße in einer Galerie zu sehen waren, eine spirituelle poetische Kraft, die so leicht und tiefsinnig auf den Betrachter überspringt wie auch das schelmische Lachen des weißhaarigen Künstlers selbst, den man oft auf Rollerscates die Kastanienallee herunterfahren sieht. Vom Senat erhält er laut eigener Aussage ein lebenslängliches kleines Stipendium (quasi wie ein Ehrenbürger), was ihm hilft, sich seiner umfassenden Forschung über das Menschsein widmen zu können. So entwickelte er vor einigen Jahren eine spezielle orthopädische Erfindung gegen Rückenprobleme und vertritt auch heute noch sehr kritische, progressive Ansichten über die Psychiatrie und deren Institutionen. Das führte damals auch dazu, daß er den allzu konservativen Kollegen zu unbequem wurde und seinen Job als Klinik-Chef verlor, ja sogar selbst als psychisch krank abgestempelt wurde! Solche Anekdoten erzählt er heutzutage mit lächelndem Stirnrunzeln - Janzer ist ein ernster, aber auch sehr humorvoller Geist, der die Wahrheiten hinter den Schmierenkomödien enttarnt, aber darum weiß, wie sehr das freiheits- und gerechtigkeitsliebende Wahrheitsbestreben engagierter Künstler die menschliche Alltagsmaskerade überfordert... Das G&GN-Institut bedauert sehr, daß wir ihm den Nahbellpreis nicht verleihen dürfen. Noch vor drei Jahren vereinbarten De Toys und Janzer ein Treffen in dessen Atelier, bei dem De Toys eine Auswahl der Gedichte zusammenstellen sollte, um damit ein Heft in der Edition "naHbell" heraus zu geben. Als es dann endlich am 9.9.2009 zu jenem historischen Treffen in Janzers Stammcafé "Haliflor" an der Ecke Schwedter Straße im Rahmen seines monatlichen "SALON DU NEUF" kam, entstand zunächst ein Video-Interview, in dem Janzer zwar schon ein wenig gereizt reagiert, als fühle er sich nicht ernst genommen, aber erst wenige Minuten nach dem Interview zeigte er sich völlig überrascht und verwundert über das Vorhaben der Preisvergabe und erklärte, er wolle den Preis lieber für seine andere Kunst erhalten. Da der Nahbellpreis aber ausschließlich für Dichtkunst vergeben wird ("für die Unbestechlichkeit im lebenslänglichen Gesamtwerkprozess"), unternahm De Toys einen letzten Überzeugungsversuch mit dem Argument, daß das G&GN-Institut selbstverständlich auf seine anderen Kompetenzen hinweisen würde und die Literatur lediglich exemplarisch in den Vordergrund rücke, um für ihn als Gesamtkünstler zu werben. Leider ohne Erfolg: Janzer lehnte beinahe entsetzt ab! Das Gespräch endete an dieser Stelle mit gegenseitigem Mißmut und die beiden sind sich seitdem nie wieder begegnet. Trotzdem erlauben wir uns heute, Jörg Janzer als großartigen, spannenden Ausnahmekünstler zu erwähnen und haben entschieden, keinen "Ersatzdichter" für den diesjährigen 11.Nahbellpreis zu nominieren sondern Janzer in unserer Ehrengalerie mitsamt seiner Ablehnung zu führen. Umso mehr freuen wir uns bereits auf das kommende Jahr: der SocialBeat-Veteran Hadayatullah Hübsch wird dann am 21.6.2011 als 12. Nahbellpreisträger seine Urkunde empfangen und bedankte sich noch vor wenigen Tagen für die Anwärterschaft, als wir das Glück hatten, ihn auf seiner jüngsten Berliner Lesetournee stimmgewaltig in Begleitung von Matt Grau (an der Gitarre) mit typisch rythmisch-heftigen politischen, aber auch selten gehörten melodisch-feinsinnigen brandneuen Poemen zu erleben.
Doc Janzer (Dr. Jörg Janzer), geb. 1939 in Freiburg/Brsg., ist approbierter Neurologe und Psychiater. Als Gründungsdirektor leitete er die "Psychosomatische Klinik Münchwies" in Neunkirchen/Saar bis 1977. Zur Jahreswende 1978 stieg er aus seinem erlernten ärztlichen Beruf aus zu Gunsten einer fortan rein künstlerischen Existenz. Jörg Janzer ist Zeichner, Verfasser von Romanoiden, Essays und Gedichten und ist als Trompeter und Text-Musik-Performer auf zahlreichen anerkannten Bühnen aufgetreten. 2012 Engagement in der Staatsoper Berlin in der Brecht-Hindemith-Oper "Lehrstück" – Regisseur: Michael von Zur Mühlen. Juli 2103 "Aktion Snowdenstreet" Aktion SNOWDENSTREET. 2015 Gastauftritt zum 5-jährigen Jubiläum der "Couch-Poetos" im Café Burger. 2015 Protagonist in dem Berlinale-Beitrag "Sprache:Sex" unter der Regie von Saskia Walker und Ralf Hechelman.
Gelb. Alles ist gelb. Der Ton gelb, das Geräusch gelb, alles ist gelb, wird gelb. Fragen gelb, die Zeit gelb.
Alles gelb.
Der Atem stockt gelb, der Pulsschlag stockt, das Wasser fliesst in die Berge zurück, zögert, stockt.
Gelbes Getuschel, nirgends ein Schrei.
Abwarten gelb.
Ahnungen auf silbernen Tabletts von Zunge zu Zunge.
Gelbes Misstrauen schwarz, die Ordnung stockt.
Schwarze Ordnung gelb.
Der Schrei nach innen.
The Wall.
Gelber Fortschritt weltraumgelb. Das Gute gelb. Gelber Tod schwarz. Schwarz erstickter Schrei.
Erstickt warten gelb auf neue Ordnung, auswegslos, stumm.
Ohne eine Spur zu hinterlassen an der Schneegrenze entlang, am Rande der Wirklichkeit.
Die Spinnen atmen aus.
Überall rote Punkte wie von endlosen Umarmungen von Echsen und Lurchen.
Gelbe Liebe gefriert.
Das Getreide ist gemäht, eingeholt.
Wenn die Angst die Entschlossenheit übertrifft als werde in der Anpassung an das Negative das Negative besiegt.
Erde spüren, Schneeluft, Samenluft, Lästerung.
Die Todeshülle des alles verderbenden Staates, der selbst das Sterben in Zyklen organisiert.
Verwehungen.
Unter Strommasten totgevögelte Zeit. Die Zeit verweht gelb im alten Heu des Jahres 86. Schrei ohne Leidenschaft.
Alles ist Imitation.
Der Name des Deos als letzte Glücksbotschaft. Die Tiere an der Schmerzgrenze.
Das schmerzt wie die grenzenlose Vertrautheit zwischen Mann und Frau dieser süsse Schmerz, süsse Geruch, der die Arme lähmt, die Nacht, den Tag,
wo zerwühlte Kissen Anlass sind für vermehrte Kontrollen durch Gelbkreuzbeamte.
Der Landmann mit der Säge aber sägt und sägt und sägt.
Hinter den Bergen leuchtet blaues Neonlicht.
Der Präsident massiert sich die Vorsteherdrüse. Die Massen applaudieren in die Kondome. Nur das Schwert, das die Wunde schlug, kann sie auch heilen.
Gelbe Latenzen machen sich breit, fressen sich in das allgemeine Bewusstsein, was immer das sei:
Das Allgemeine, das Bewusstsein.
Etwa der babylonische Tod, der assyrische, der ägyptische Tod?
Noch immer schweigen sie.
Nirgends hört man einen Schrei.
Gefolterte Nerven geben gelbe Ruhe.
Noch nie war ein Krieg zu anarchisch oder zu teuer. Todgeweihte sind angeblich kaum zu dressieren.
Doch die Latenz des Todes steht im umgekehrten Verhältnis zur Geschwindigkeit der Fortbewegungsmittel.
Laser.
Die angeblich neue Situation ist nichts als die Entsprechung einer anderen, längst vorhandenen Wirklichkeit:
Der Gesang der zerfallenden Berge, die schwarze Sickerung der Ekzeme. Da helfen weder grüne Meerkatzen noch Kopfstände.
Als sei nicht jede Krankheit auch Erschöpfung – warum nicht auch der Wissenschaften?
Unzeitgemässe ketzerische Gedanken machen sich breit. Man spricht von Peitsche und Sense, hört den schneidenden Knall,
ahnt die Anarchie, die in ihrer negativen Form längst in uns wütet in Form eines anderen Zusammenbruchs.
Der Schadenfreude ist keine Grenze gesetzt.
Auf der gegenüberliegenden Seite stehen die, die ohnehin nie etwas zu verlieren hatten und lachen.
Und hinter ihnen grinst die mythologische Fratze.
Der Fortschritt gibt die Apokalypse ab. Wir dürfen jetzt nachdenken oder glauben oder jammern.
Der neue Tod, der ein alter Tod ist, so alt wie eben der Tod, nimmt uns die Sense aus der Hand und schüttelt sich das Kleid.
Wir sind zu banal, zu gut gewesen. Der afrikanische Gleichgültigkeitstod war zu satt oder zu matt.
Im Untergang bekommen wir die Unschuld zurück, treten ins Glied.
Vernehmt die Botschaft. Hört auf den Gesang der Vulkane.
Strich für Strich geht der Landmann über das Feld und mäht. Man nannte ihn einst den Gevatter.
Wenn Ihr sein Lachen hört wisst Ihr Bescheid.
In Euch lauert ein Schrei.
2019: Das G&GN-Institut nimmt Abschied vom 9.Nahbellpreisträger ~ NACHRUF auf Peter Rech 21.5.1943 - 5.12.2019
2020: Das G&GN-Institut bedauert das Ende des Portals FIXPOETRY ~ NACHRUF auf das Engagement von Julietta Fix
2022: Erstmals wird der Nahbell-NEBENPREIS "für den unerwarteten Essay" vergeben - Hintergrund zur EINFÜHRUNG siehe 2021
2023: Das G&GN-Institut kuratiert die Düsseldorfer Lesung "POESIEPANDEMIE: LYRIK LEBT WEITER!" -
LIVE & CLOSE am 12.
Mai
"Ich bin der reichste Mann der Welt! // Meine silbernen Yachten / schwimmen auf allen Meeren. // Goldne Villen glitzern durch meine Wälder in Japan, / in himmelhohen Alpenseeen spiegeln sich meine Schlösser, / auf tausend Inseln hängen meine purpurnen Gärten. // Ich beachte sie kaum. // An ihren aus Bronze gewundenen Schlangengittern / geh ich vorbei, / über meine Diamantgruben / lass ich die Lämmer grasen. // Die Sonne scheint, / ein Vogel singt, / ich bücke mich / und pflücke eine kleine Wiesenblume. // Und plötzlich weiss ich: ich bin der ärmste Bettler! // Ein Nichts ist meine ganze Herrlichkeit / vor diesem Thautropfen, / der in der Sonne funkelt." Arno Holz (1863-1929)
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