Zur PRESSEMITTEILUNG vom 21.6.2024

 

DER 2. NAHBELL-NEBENPREIS GEHT 2024 AN ANDREAS MÜLLER (*1979, "THE TIMELESS WONDER") FÜR SEINEN BRANDNEUEN ESSAY "DAS ICH, DAS ES NICHT GIBT"

ZUM INTERVIEW MIT DEM PREISTRÄGER BITTE RUNTERSCROLLEN: UNTER DEM ESSAY!


Andreas, geboren 1979 in Süddeutschland, war seit seiner Jugend ein Suchender. Er beschäftigte sich mit vielen Traditionen und Wegen, die Glück und Glücklichsein versprachen, wie Psychologie, Philosophie, Heilung und Spiritualität. Nach intensiven spirituellen Einsichten und Erfahrungen verdichtete sich seine Suche immer mehr auf die Hoffnung, dass die Suche selbst enden könnte. Eher zufällig begegnete er im Jahre 2009 Tony Parsons und dessen kompromissloser Botschaft. Plötzlich und unerwartet wurde gehört, wovon Tony sprach: "Das ist niemand". Seit 2011 hält Andreas, von Tony ermutigt, regelmäßig und weltweit Talks und Intensives. Er verfolgt dabei kein Ziel und folgt keiner Tradition. Was ist, ist die natürliche Realität, die zugleich Liebe und Freiheit ist.

 

Andreas im Internet:

thetimelesswonder.com

instagram.com/thetimelesswonder

facebook.com/thetimelesswonder

x.com/wonder_timeless


ANDREAS MÜLLER (THE TIMELESS WONDER)

DAS ICH, DAS ES NICHT GIBT

oder: Befreiung von der Illusion, "jemand" zu sein

 

Die natürliche Realität ist eine wunderbare Grenzenlosigkeit und gleichzeitig ist sie einfach nur das, was scheinbar passiert. Es gibt keine tiefere Realität. Es gibt keine Realität, die wahrer oder echter wäre, die besser oder stimmiger wäre, als das, was scheinbar geschieht. Das, was scheinbar geschieht, hat keine Richtung und keine Absicht. Es ist einfach nur es selbst. Dabei ist es total und vollständig und gleichzeitig leer und bedeutungslos.

 

Alles ist diese natürliche Realität. Es gibt keine Ausnahme davon.

 

Innerhalb dieser natürlichen Realität scheint es das Erleben zu geben, ein Ich zu sein. Die meisten Menschen auf dieser Erde erleben sich, als wären sie "jemand". Das ist völlig in Ordnung so - und doch wird dieses Erleben von dem Gefühl begleitet, dass auf einer grundsätzlichen Ebene etwas fehlt. "Ich" zu sein bedeutet, in einem Mangelgefühl zu leben. Aus diesem Mangelgefühl heraus versucht man, eine tiefere Wahrheit zu finden. Dabei spielt es keine Rolle, wo diese Wahrheit gesucht wird. Viele denken, sie liege im Wissen und im Verstehen. Andere wiederum denken, sie liege im Besitz von Reichtümern und in gesellschaftlichem Status. Wieder andere suchen ihr Glück in Beziehungen und in einem Leben in Sicherheit oder Freiheit. Und viele Menschen machen sich auf die Suche nach Wahrheit und Glück in ihrem Inneren. Sie suchen nach Wahrheit in ihren Gedanken, in ihren Gefühlen oder versuchen gar, das eigene Selbst zu realisieren. Leider schlagen all diese Versuche fehl. Anstatt dass jemand wirklich in einem dauernden Zustand von Zufriedenheit und Glück ankommt, besteht das Leben aus einem permanenten Kampf. Es ist der Kampf ums Überleben auf der einen Seite, aber auch der Kampf um diese Zufriedenheit und das Glücklichsein. Die Hoffnung ist, dass man irgendwann endlich ankommt, dass alles einfach nur gut ist. Die Hoffnung ist, dass man irgendwann nicht mehr für sein Glück kämpfen muss, sondern einfach nur in Ruhe glücklich sein kann. Mit dieser Sehnsucht leben die meisten Menschen und daher scheint sie natürlich zu sein.

 

Es gibt viele Ideen, wie man diesen Mangel bekämpfen könnte. Unzählige Lebensweisen werden angeboten, unzählige Methoden und Vorstellungen herrschen darüber, wie man am besten zu leben hat. Doch es scheint einfach nicht so zu sein, dass einer dieser Wege nachhaltigen Erfolg bringt. Egal wie sehr man versucht, die richtigen Dinge zu tun, immer wieder erfährt man diesen Mangel und das Gefühl, noch nicht angekommen zu sein.

 

Worauf hier hingewiesen wird, ist, dass all das Teil einer Illusion ist. Die Illusion ist, dass es ein "Ich" gibt in unseren Körpern. Doch da ist überhaupt niemand. Es ist das Erleben, ein Ich zu sein, das eine Illusion ist. Das Mangelgefühl ist Teil dieser Illusion, daher ist es unmöglich für das scheinbare Ich, diesem zu entkommen. Was man auch tut, das Mangelgefühl bleibt bestehen. Keine Erkenntnis und keine Erfahrung vermag es, das Gefühl, dass etwas fehlt, in ein permanentes Gefühl der Erfüllung und des Ankommens zu verwandeln. Und so bleibt das Erleben Stückwerk. Man hangelt sich von Moment zu Moment, von Wochenende zu Wochenende, von schöner Erfahrung zu schöner Erfahrung. Doch die Suche selbst endet nie. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass sie vielleicht irgendwann in der Zukunft enden wird. Diese Hoffnung wird nie erfüllt werden. Die Hoffnung darauf, irgendwann anzukommen, wird nicht erfüllt. Sie wird nicht erfüllt, weil sie auf einer Illusion beruht, nämlich dass da "jemand" ist. Doch da ist niemand. Es ist das Ich mitsamt seinem Mangelgefühl, das keine Substanz hat.

 

Wahre Befreiung geschieht im grundlosen Wegfallen der Illusion, "jemand" zu sein. Zusammen mit dem Ende der Sucher-Illusion endet auch die Suche. Die Suche endet nicht, weil etwas gefunden wird. Die Suche endet nicht, weil man es geschafft hat, anzukommen. Die Suche endet, weil sich der Sucher als Illusion entpuppt. In dieser Befreiung gibt es niemanden, der ankommt. Derjenige, der sich auf einem Weg wähnt, verschwindet und es bleibt nichts von ihm übrig. Nichts wird erreicht und nichts wird gefunden. Automatisch verschwindet auch der Eindruck, dass etwas fehlt im Leben, denn dieser Eindruck gehört unmittelbar zum Ich-Erleben. Bedürfnislosigkeit entpuppt sich als die mühelose, natürliche Realität. Alles Hoffen darauf, in einen Zustand des erfüllten Ich-Seins überzugehen, löst sich auf. Es stellt sich heraus, dass das Mangelgefühl überhaupt keine reale Grundlage hatte; es gehörte einfach zu dem Erleben, "jemand" zu sein.

 

Diese Befreiung ist keine weitere Sackgasse. Sie ist total und unzweifelhaft. Sie ist komplett und doch für niemand. Sie ist keine Befreiung für das Ich, sondern eine Befreiung von der Illusion, ein Ich zu sein. Was bleibt, ist die Einfachheit des Lebens selbst. Leben ist das, was scheinbar passiert - ohne Ziel, ohne Bedeutung und ohne Tiefe, dafür aber vollständig und klar. Es fehlt überhaupt nichts. Niemand hat etwas verloren, niemand muss ankommen, niemand muss ein glückliches Ich werden. Die Trunkenheit der Suche, das Hin- und Hergeworfen-Sein zwischen Gefühlen und Zuständen, zwischen Glück und Leid, endet in der Nüchternheit des So-Seins. Alles ist das, was es ist. Alles ist in völliger Übereinstimmung mit sich selbst, da alles es selbst ist. Gedanken sind Gedanken, Gefühle sind Gefühle, das Universum ist es selbst. Die scheinbar getrennte Instanz - das "Ich" mitsamt seiner Suche - ist als Illusion entlarvt.

 

Das Leben trägt weder eine Wahrheit in sich, noch hat es eine Essenz. Gleichmütig fließt alles vor sich hin, unaufgeregt und kompromisslos geschieht das, was geschieht - ohne Ursache, undogmatisch, natürlich und frei. Das ist die natürliche Realität, von der niemand getrennt ist. Das ist die natürliche Realität, die niemals verlassen wurde und die niemand wiederfinden muss.

 

Wir sind diese natürliche Realität, auch wenn niemand da ist, der sich als diese erfährt. Sie ist näher als nah. Sie ist alles.

 


DAS GROẞE NAHBELL-NEBENPREIS-INTERVIEW

SOSEIN STATT SACKGASSEN DER SEHNSUCHT

(EINE NEUE METHODE GEGEN DEN MANGEL? DER ANTIGURU ANTWORTET!)

 

1. Nahbellnebenfrage

 

Lieber Andreas Müller, für Deinen Essay "Das Ich, das es nicht gibt - oder: Befreiung von der Illusion, >jemand< zu sein" wird Dir dieses Jahr (2024) der 2.NAHBELL-NEBENPREIS FÜR DEN UNERWARTETEN ESSAY zugesprochen, obwohl Dein Text auf den ersten Blick das Kriterium der "KOMPLEXEN JOURNALISTISCHEN RECHERCHE" nicht erfüllt. Dafür muss man schon sehr tief in die sogenannte Spiriszene aus Retreats, Sekten, Satsangs, Yogaseminaren und Meditationsworkshops eintauchen, um zu erahnen, mit welch einer brisanten, provokativen Relevanz Deine Themen im Widerspruch zum Zweck sämtlicher Erleuchtungspraktiken, Selbstoptimierungsmethoden und Bewusstseinserweiterungstechniken stehen! Daher möchte ich Dich zunächst einmal zu einer Textstelle im Essay befragen. Du schreibst: "Diese Befreiung ist keine weitere Sackgasse." Um was für Sackgassen handelt es sich, wer gerät in sie (und kommt nicht mehr raus?) und weshalb - worauf spielst Du hier an?

 

1. Nahbellnebenantwort

 

Die Sackgassen, die ich anspreche, beziehen sich auf die verschiedenen Bereiche, in denen das scheinbare Ich Glück und Erfüllung vermutet. Es ist die Hoffnung des scheinbaren Ichs, in Umständen Erfüllung zu finden - im Besitz, in Beziehungen, in Gefühlen und Gedanken. Allerdings muss sich das scheinbare Ich dafür anstrengen. Um sich erfüllt zu fühlen, muss man meditieren, die Vergangenheit heilen, viel Geld verdienen, eine belesener Mensch sein usw. Die Liste könnte nahezu endlos fortgesetzt werden, denn das scheinbare Ich kann potenziell in allem suchen. Hoch im Kurs steht gerade, dass man "den Moment so gut und tief wie möglich genießen" soll. Der Glaube daran, das wirklich tun zu können und dass dies Erfüllung bringt, wäre so eine Sackgasse. Man kann sich nämlich daran abarbeiten, den Moment so bewusst wie möglich zu genießen. Das ersehnte Ankommen wird nicht passieren. Wie gesagt, alles kann so eine Sackgasse sein. Beziehungen, in denen nach Erfüllung gesucht wird, berufliche Umstände oder die Idee, dass man ein erleuchteter Mensch sein kann. Dieses Erleben gehört einzig und alleine zur Ich-Illusion: "Ich brauche etwas, um glücklich zu sein. Und dafür muss ich etwas tun." Ich spiele darauf an, dass es diese erfüllte Erfahrung gar nicht braucht. In diesem Sinn ist die Suche selbst eine Sackgasse. Das Ich, das nach Glück strebt, existiert nicht. Die Hoffnung darauf, ein erfülltes Ich werden zu können, ist eher Gefängnis als befreiend. "Da ist niemand" heißt, dass das Leben bereits frei ist und die Anstrengung der Glückssuche nicht benötigt.

 

2. Nahbellnebenfrage

 

Wenn sich die Menschheit irrtümlicherweise an einer Illusion abarbeitet, ist das doch eigentlich nicht nur ein individuelles Desaster, sondern sogar ein kollektiver zivilisatorischer Skandal, oder nicht? Diese Sehnsucht nach dem perfekten, vollkommenen Dauerzustand treibt doch seit tausenden Jahre Architekten, Politiker, Ärzte, Künstler und jeden Handwerker an, etwas zu erforschen und zu schaffen, was das konkrete Leben angenehmer macht und einen tieferen Sinn spüren lässt. Hätte die Menschheit diese "unzähligen Lebensweisen, Methoden, Ideen und Vorstellungen, wie man diesen Mangel bekämpfen könnte", im Laufe unserer Entwicklung nicht erfunden, weil man schon früher erkannt hätte, dass der Mangel auf einer existenziellen Selbstlüge basiert, gäbe es vielleicht keine Flugzeuge, Hochhäuser, Autos, elektronische und digitale Kommunikationsgeräte, medizinische Gentechnologie, aber auch keinen Plastikmüll, keine Luftverschmutzung und vielleicht auch keine Kriminalität? Würden wir als erleuchtete/erwachte Steinzeitmenschen in tiefer Meditation versunken um das Lagerfeuer in einer Höhle sitzen und keine Motivation mehr empfinden, für irgendwas überhaupt noch den Arsch hochzukriegen?

 

2. Nahbellnebenantwort

 

Ja, die meisten Menschen scheinen sich als "Jemand" zu erleben. Und scheinbar erwachsen aus diesem Erleben allerhand Konflikte. Und doch: Auch das ist das, was scheinbar passiert. Es ist eine Illusion, dass es eine getrennte Instanz gibt, die für irgendetwas die Ursache ist. Selbst die scheinbare Ich-Illusion geschieht für niemanden. Darauf, wie die Welt aussehen würde, wenn diese Illusion "kollektiv" verschwinden würde, gibt es keine Antwort. Es ist unmöglich abzuschätzen, welche Handlungen "aus der Suche heraus" geschehen und welche "natürlicherweise" geschehen. Denn was scheinbar geschieht, sind ja lebendige und neugierige menschliche Körper. Nur dass dieser menschliche Körper einem Ich und einer tieferen Erfüllung dienen soll, ist Teil einer Illusion. Es ist eben nicht so, dass Autos gebaut werden, weil es "jemand" tut und sie einer tieferen Erfüllung dienen. Körper tun, was Körper tun. Niemand treibt sie an und niemand lässt sie arbeiten. Es ist sehr wohl denkbar, dass trotzdem Autos, Flugzeuge und Hochhäuser gebaut werden würden. Man kann es einfach nicht wissen. Da es bereits jetzt keine bewusst handelnden Menschen gibt, lässt sich unmöglich sagen, wohin das Leben treiben würde, wenn diese Illusion verschwindet.

 

3. Nahbellnebenfrage

 

Widersprichst Du Dir da nicht selber etwas naiv? Wie zeigt sich denn dieser "permanente Kampf", von dem Du sprichst, wenn nicht im Erfindergeist der Genies, deren Ichs der "Hoffnung auf Glück" kreativ verfallen sind? Ihre "Trunkenheit der Suche" hat die Zivilisation doch vorangetrieben! Und die Abschaffung von Leid (und sogar Tod!) beschäftigt doch zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen! Mir geht schon seit Jahren diese Frage durch den Kopf, wie sich die "Nüchternheit des Soseins" auf die vielfältigen Ideologien der unterschiedlichsten Kulturen auswirken würde. Es gab ja in der New Age (bzw. Human Potential) Bewegung bis in die 80er die visionäre Idee des kollektiven Aufwachens als "Punkt Omega". Schon damals war mir daran suspekt, ob die Gesellschaft das überhaupt verkraften könnte, wenn die Mehrheit plötzlich erleuchtet wäre. Denn die Neugier der ich-besessenen Körper ist ja meist hochneurotisch und zwanghaft. Die Illusion des Mangels treibt sie an und lässt sie arbeiten! Wir reden hier ja nicht nur von Selbsterfahrungsseminaren und Selbstfindungsworkshops, sondern vom ganz stinknormalen Alltag aller Jemande, die niemals und nirgends ankommen. Wie wirkt sich denn die Ichlosigkeit auf den Körper namens Andreas Müller aus, im Kontrast zu jener früheren "Person" im selben Körper, als die noch unter der Regie ihres Ichs handelte? Gibt es messbare Unterschiede? Hat sich die Neugier verändert, der Wunsch nach Besitz von Reichtümern und gesellschaftlichem Status, das Sicherheitsstreben? Woher kommt bei Dir eine Antriebskraft für das tägliche Tun? Oder für das Beantworten meiner Fragen? Findet da eine Technik oder Methode statt, die sich beschreiben lässt? Ich möchte einfach wegkommen von diesem Klischee, dass ein Ichloser ein Heiliger sei, weil eben das Ich leider mit Mangel verbunden wird und daher die Ichlosigkeit als ein Dauerglückszustand erhofft wird, was natürlich paradox ist, da es kein Zustand für "Jemanden" ist. Darfst Du zum Beispiel in der Rolle des Gurus dumm sein, Dich lächerlich machen, Fehler begehen, neurotisch handeln und und und - oder spürst Du einen gewissen Druck Deiner Fans, dass Du als Vorbild für ihre Ego-Fantasien fungieren sollst? Und wenn Du Dich nicht in ihren Augen als "erwacht" verhältst, dass sie Dir die Ichlosigkeit nicht mehr (wortwörtlich:) abkaufen?

 

 

3. Nahbellnebenantwort

 

Ja, ich weiß schon, dass es unlogisch scheint, aber es gibt einfach keine klare Antwort darauf. Viele Aktivitäten scheinen aus der Suche heraus zu geschehen, während auf andere Tätigkeiten die Suche projiziert wird. Aus dem Ich-Erleben heraus wirkt auch das morgendliche Zähneputzen wie ein kleiner Beitrag auf dem Weg zur persönlichen Erleuchtung. Als bei mir die Illusion des "Ich-Seins" verpufft ist, hat die Suche zwar aufgehört, aber das Zähneputzen nicht. Es stellte sich heraus, dass ich das niemals gemacht habe, um weiterhin auf dem Weg zu bleiben. Es scheint einfach zu geschehen, ohne dass es jemand tut und ohne dass es einem tieferen Zweck dienen muss. Im Gegensatz dazu könnte es im "Ich-Erleben" durchaus den Eindruck geben, dass man gesunde Zähne haben muss, wenn man in der Zukunft eine erfüllte Erfahrung machen möchte. Das lässt sich auf alles übertragen: Vielleicht würden so auch Autos gebaut und scheinbar komplexe Gesellschaften funktionieren. Auf der anderen Seite könnten diese Dinge auch völlig zusammenbrechen, weil der scheinbare Antrieb der Suche fehlt. Man kann es einfach nicht wissen. Was mich selbst angeht, scheine ich ein relativ normales Leben zu führen. Allerdings gibt es eben nicht den Eindruck, jemand zu sein und die Erwartung, dass die Welt eine tiefere Erfüllung bieten muss. Messbar ist dieser Unterschied nicht, und doch scheint er in alle Lebensbereiche auszustrahlen. Es findet einfach keine Suche mehr statt - weder in Geld, in gesellschaftlicher Position, in Beziehung noch in sogenannter Spiritualität oder Selbstoptimierung. Da ist einfach niemand. Der Körper-Organismus erhält sich selbst gemäß seiner Konditionierung und Prägung. Andreas geschieht, wie er geschieht. Es gibt keinen wirklichen Antrieb für das tägliche Tun. Auch das ist einfach das, was scheinbar passiert. Niemand tut etwas, aber es ist auch niemand da, der morgens im Bett liegen bleiben könnte. So gesehen läuft alles von selbst bzw. eigentlich ist alles es selbst. Jede Handlung, jeder Gedanke ist einfach das, was scheinbar geschieht. Natürlich bin ich kein Heiliger geworden. Ich lebe auch nicht in einem dauerhaften Glückszustand, auch wenn die Illusion von Mangel verschwunden ist. Das Leben ohne Suche ist viel natürlicher, als der spirituelle Sucher glauben mag. Und ja, natürlich darf ich dumm sein, mich lächerlich machen und Fehler begehen. Ich bin kein Guru, ich lehre und propagiere nichts. Ich betrachte mich weder als Vorbild noch rate ich dazu, mir nachzueifern. Dass ich unter Umständen nicht dem Bild eines Erwachten entspreche, ist völlig okay für mich. Aus meiner Sichtweise gibt es sowieso keine erwachten und nicht-erwachten Menschen. Menschen, die zu meinem Talks kommen, sind in der Regel auch gar nicht daran interessiert, einen neuen Guru zu bekommen. Es ist diese Freiheit - die Freiheit von jeglicher Suche und die Freude darüber, dass alles bereits vollkommen ist -, die Menschen zu meinen Talks kommen lässt. Und ich habe nichts anderes anzubieten als den Hinweis auf diese unpersönliche, vollkommene und natürliche Realität, die nichts mit der Erscheinung "Andreas" zu tun hat.

 

 

4. Nahbellnebenfrage

 

Lieber Andreas, vielen Dank für die ehrlichen Erläuterungen, die das ungewöhnliche Thema Deines Essays für Unbedarfte ein bisschen beleuchten. Nachvollziehbar ist die Ichlosigkeit ja gewissermaßen gar nicht, weil nur das Ich selber bemüht ist, seine eigene Losigkeit zu verstehen, also ein unauflösbares Paradoxon! Zu welcher Disziplin lässt sich Deine Tätigkeit eigentlich rechnen? Spiritualität? Oder Psychologie? Du wirst ja mittlerweile rund um die Welt eingeladen, Vorträge zu halten und Fragen zu beantworten, sogar schon auf Englisch, Dein Thema wird international behandelt! Bist Du der neue Eckhart Tolle? Gibt es eine Berufsbezeichnung für Deine Arbeit? Wie bist Du da überhaupt reingerutscht, woher kamen die ersten Anfragen? Wie lange ist das jetzt her, dass Du als Bewusstseinsmärchenonkel gefragt bist?

 

4. Nahbellnebenantwort

 

Ja, das stimmt. "Ichlosigkeit" lässt sich nicht verstehen, da sie ja nicht von jemandem "erlebt" werden kann. Der Klarheit halber muss ich allerdings hinzufügen, dass es so etwas wie Ichlosigkeit eigentlich gar nicht gibt. Es gibt einfach nur kein Ich. Befreiung endet also nicht in einem Zustand der Ichlosigkeit; es endet nur die Illusion, dass es ein Ich gibt. Von außen betrachtet würde man mich wahrscheinlich der Spiritualität zuordnen. Im engeren Umfeld werde ich als Non-Dualitäts-Sprecher gehandelt, was ich für ein furchtbares Wort halte und eine neue Schublade erschafft. Ich selbst habe überhaupt keine Definition davon, was ich bin oder davon, was ich mache. Ich sehe mich weder als Guru noch als Coach noch als Lehrer. Diese Worte kommen so direkt aus dem scheinbaren Verschwunden-Sein der Ich-Illusion, dass sie zu keiner der gängigen Kategorien gehören. Was scheinbar geschieht ist, dass Menschen auf der ganzen Welt eine Offenheit für diese direkte Kommunikation haben. Aus dieser Offenheit und Resonanz kommen die Einladungen aus der ganzen Welt. Überall gibt es Menschen, die das eigene Ich-Sein als zweifelhaft und einengend erleben. Seit 2011 spreche ich nun darüber, dass das Ich-Erleben eine Illusion ist. Angefangen habe ich diese Gespräche bei mir zuhause. Das ganze Setup war sehr informell und dieser informelle Charakter ist bis heute geblieben, auch wenn die Gruppen mittlerweile etwas größer sind. Ziemlich am Anfang gab es ein Interview von mir im Internet und ohne es zu forcieren, kamen immer mehr Einladungen. Die ersten Anfragen kamen aus Deutschland. Dann entstanden Bücher mit Gesprächen aus den Talks und auch Interviews auf Englisch. Dann kamen die Einladungen aus aller Welt. Jeder/jede, der/die sich angezogen fühlt, ist herzlich willkommen.

 

 

5. Nahbellnebenfrage

 

Eine allerletzte Frage drängt sich mir doch noch auf, eine fast vergessene, die mich seit meinem eigenen Ichverlust beschäftigt: die Frage nach der Sprache, der Formulierung von Sätzen, der Grammatik! Es ist kaum möglich, das Wörtchen "ich" im Satzbau zu vermeiden, obwohl es für einen Ichlosen keine Bedeutung mehr hat. Wird das Sprechen in Ichform zur Lüge, weil andere Menschen damit etwas verbinden, das wir nicht mehr meinen? Inwieweit entstehen bei Dir durch die Ichlosigkeit andere grammatikalische Konstruktionen im automatischen Sprechen? Wofür steht das Wort der 1.Person Singular für einen Ichlosen überhaupt noch? Erfährt das Wort "ich" eine stillschweigende Neudefinition aus Deinen Augen, indem Du es weiterhin verwendest? Wen spricht man überhaupt an, wenn man zu einem Ichlosen "Du, Dich, Deiner, Dir" sagt? Gibt es Menschen, die Dir Deine Ichlosigkeit nicht glauben, weil Du weiterhin in der Ichform redest?

 

5. Nahbellnebenantwort

 

Das ist eine sehr schöne Frage. Das Wörtchen "Ich" verwende ich die ganze Zeit. Anscheinend ist das der Name, den sich der Körper gibt, wenn er von sich spricht. Wenn ich sage, dass ich traurig bin, ist das einfach der unpersönliche Bericht darüber, dass sich Andreas traurig fühlt. Es gibt einfach nur kein Ich-Zentrum, das glaubt, von sich als Person zu sprechen oder ein anderes Ich anzusprechen. Der Körper, der sich auf sich selbst bezieht (ohne eine Erfahrung davon zu haben), ist das, was scheinbar geschieht. Und so wird das Wörtchen "Ich" selbstverständlich weiterhin verwendet, ohne dass es sich auf diese Ich-Illusion bezieht. Der Körper, der sich selbst als "Ich" bezeichnet, ist das, was scheinbar passiert. Insofern ist das Sprechen in der Ich-Form keine Lüge; es war nur einfach nie persönlich. Im engeren Sinne wird niemals jemand angesprochen. Erlebt man sich als "Jemand", kann das natürlich verwirrend sein. Vielleicht möchtest du das ja vermeiden, aber ich glaube, da kann man nichts machen. Das "Ich" nimmt halt alles persönlich und damit auch den "eigenen", sich als Ich bezeichnenden Körper.